Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Mai-Sachme’s ruhiger Aufsicht, und Reise-Mitgift zum freundlichen Angedenken. Mit allem versehen, was sie brauchten, um hochgemut vor den Vater treten zu können, zogen sie hin: mit Benjamin, mit Schimeon und mit Speise, – wobei die Speise, die sie vom großen Markthalter empfangen, gewissermaßen eintrat für den Zwölften von ihnen, der nun einmal unvorhanden blieb. Auf elf aber wenigstens hatten sie ihre Zahl wieder gebracht, dank ihrer Unschuld.
So sah es aus in den Gemütern der Brüder, will sagen: in denen der Söhne Lea’s und denen der Söhne der Mägde, – es ist leicht zu beschreiben. Der Seelenzustand des Rahel-Sohnes bleibt unbeschreiblich, – was in so manchen tausend Jahren keiner sich zugetraut, das lassen wahrlich besser auch wir, wo es ist. Genug, daß der Kleine fast nicht geschlafen hatte nachts in der Herberge, und wenn schon einmal, dann unter wirren und tollen Träumen, die allbereits wieder ohne Namen waren. Will sagen: einen Namen hatten sie schon, einen lieben und schönen und nur eben völlig tollen; sie hießen »Joseph«. Benoni hatte einen Mann gesehen, in dem war Joseph. Wie wäre da an Beschreibung zu denken? Menschen sind Götter begegnet, die sich in die Person eines guten Bekannten verkleidet hatten und als dieser behandelt, selbst aber nicht angesprochen werden wollten. Hier lag es umgekehrt: Nicht war hier das menschlich Vertraute für das Göttliche durchsichtig, sondern das Hohe und Göttliche für das Innig-Kindheitsvertraute; dieses war vermummt in fremde Hoheitsgestalt und wollte sich nicht sprechen lassen, sondern trat den Rückzug an hinter verwehrend sich schließende Lider. Wohlgemerkt: der Verkleidete ist nicht der, in den er sich verkleidet und aus dem er hervorblickt. Sie bleiben zweierlei. Den Einen im Anderen erkennen, heißt nicht, Einen machen aus Zweien und sich die Brust mit dem Schrei entlasten: »Er ist es!« Dieses »Er« ist noch keineswegs herstellbar, wenn auch der Geist sich zitternd müht, es zu formen; und der Schrei war zurückgebannt in Benjamins Brust, die er freilich fast sprengen wollte, ob er gleich eigentlich noch garnicht vorhanden, sondern ein Un-Schrei war, ohne einheitlichen Aussage-Gegenstand, – das war das Unbeschreibliche. Nichts blieb dem die Brust überfüllenden Un-Schrei übrig, als sich aufzulösen in wirre und tolle Träume zur Nacht; als er aber aus diesen am Morgen wieder zusammenrann in sein bedrängendes Halb-Dasein, hatte er soviel Satz-Gegenstand schon errungen, daß Benjamin nicht begriff, wie man es fertig bringen und jetzt abreisen sollte, indem man »dies hier« einfach im Rücken ließ. »Wir können doch, in des Ewigen Namen, nicht einfach abziehen!« rief er bei sich. »Wir müssen doch hier bleiben und dies ins Auge fassen, nämlich den Mann und Vice-Gott, Pharao’s Großen Markthalter! Es ist doch ein Schrei fällig, den es nur noch nicht gibt, und wir können doch nicht, mit ihm in der Brust, heimkehren zum Vater und dort leben wie ehedem, wo doch der Schrei fast drauf und dran ist, in die Welt zu treten und die ganze Welt zu erfüllen, wozu er ungeheuer genug ist, – kein Wunder denn, daß er, eingesperrt in meine Brust, sie fast sprengen will!«
Und er wandte sich an den großen Ruben in seiner Not, ihn mit weiten Augen zu befragen, ob er denn wirklich meine, daß man nun abziehen solle, wieder nach Hause, oder ob ihm nicht vielleicht scheine, daß man hier noch nicht ganz fertig sei, richtiger gesagt: ganz und garnicht fertig, und aus diesem triftigen Grunde besser noch hierbliebe?
»Wie denn, Kleiner?« fragte Ruben dagegen. »Und was meinst du mit ›triftig‹? Es ist alles bestens getan und beschafft und hat der Mann uns in Gnaden entlassen, da wir dich vorgeführt. Nun heißt es, eilends zum Vater kehren, der da wartet und sich fürchtet um Deinetwillen, daß wir ihm das Erworbene bringen, und er wieder Opfer-Semmeln habe. Weißt du noch, wie der Mann sich erzürnte, als er Jaakobs Klage erfuhr, die Lampe gehe ihm aus und er müsse im Dunkeln schlafen?«
»Ja«, sagte Benjamin, »ich weiß es noch.« Und er blickte dringlich in des großen Bruders Miene empor, deren starke, vom Barte bloße Muskulatur bärbeißig zusammengezogen war, wie gewöhnlich. Plötzlich aber sah er – oder war es Trug? –, daß die rötlichen Lea-Augen vor seinem Blick den Rückzug antraten hinter die nickenden Lider, verwehrend-bestätigend, ganz so, wie er es gestern von anderen Augen gesehen.
Er sagte nichts mehr.
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