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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Unbeschreiblichkeit seines Zustandes kam auf ihren Gipfel, – es stand gleich fest, daß das nie jemand beschreiben würde. Es verschlug ihm den Atem, seine Augen schwammen in Tränen, und durch die Tränen starrte er dem Fürsten des Korns ins Gesicht bei angestrengt zusammengezogenen Brauen – das aber ergibt einen höchst unbeschreiblichen Ausdruck: Tränen unter zusammengewühlten Brauen –, und dabei stand der Mund ihm offen gleichwie zu einem Schrei, der aber blieb aus, und statt dessen neigte der Kopf des Kleinen sich etwas zur Seite, schloß sich der Mund, lösten sich seine Brauen, und sein Tränenblick war nur noch eine große, inständige Bitte, vor der freilich die schwarzen Augen drüben wieder den Rückzug antraten hinter die Lider, zwar verwehrend, und doch konnte man, wenn man wollte und sich getrost getraute, in dem Lidschlag etwas wie heimlich anvertrauende Bejahung erblicken.
    Da komme einer und beschreibe, wie es aussah in Benjamins Brust, – in eines Menschen Brust, der ganz nahe daran ist zu glauben!
    »Ich hebe nun gleich die Tafel auf«, hörte er den Fürsten sagen. »Hat dir’s geschmeckt? Ich hoffe, daß es euch allen geschmeckt hat, muß aber nun wieder ins Amt bis auf den Abend. Ihr werdet denklich morgen früh, ihr Brüder, euch wieder heimwärts wenden, wenn ihr die Ware eingenommen, die ich euch anweisen will: Speise für zwölf Häuser diesmal, eueres Vaters Haus und die euren. Gern will ich euer Geld dafür nehmen in Pharao’s Schatz, – was wollt ihr? Ich bin des Gottes Geschäftsmann. Lebe wohl, falls ich dich nicht mehr sehen sollte! Doch nebenbei und in guter Meinung gesprochen, – warum eigentlich tut ihr euer Herz nicht auf und tauscht euer Land für dieses, daß ihr in Ägypten siedelt, Vater, Söhne, Weiber und Enkel, alle siebzig, oder wieviel ihr seid, und nährt euch auf Pharao’s Triften? Das ist ein Vorschlag von mir zu euch, denkt drüber nach, es wäre bei Weitem das Dümmste nicht. Man würde euch passende Triften schon anweisen, das kostet mich nur ein Wort, ich habe hier alles zu sagen. Ich weiß wohl: Kanaan, es hat was auf sich damit für euch, aber schließlich, Ägyptenland, das ist große Welt und Kanaan nur ein Winkel, wo man in keinem Sinne zu leben weiß. Ihr aber seid ja bewegliches Volk, nicht eingemauerte Bürger. Wechselt doch also herunter! Hier ist gut sein und mögt freihin im Lande werben und handeln. So weit mein Ratschlag, hört auf ihn oder nicht, ich muß mich nun sputen, das Geschrei vor mich kommen zu lassen derer, die nicht vorgesorgt haben.«
    Mit so weltlicher Rede nahm er Abschied vom Kleinen, während ein Diener ihm Wasser über die Hände goß. Dann erhob er sich, grüßte alle und löste die Mahlzeit auf, von der es heißt, daß seine Brüder dabei trunken wurden mit ihm. Aber sie waren nur heiter; sich zu betrinken hätten selbst die wilden Zwillinge nicht gewagt. Trunken allein war Benjamin, aber auch er nicht vom Weine.
    Der verschlossene Schrei
    Viel wohlgemuter als das erste Mal traten diesmal die Brüder die Heimreise an von Menfe gegen die Bitterseen und gegen die feste Grenze. Alles war so gut gegangen, daß es nicht besser hätte gehen können. Der Herr im Lande hatte sich eindeutig reizend erwiesen, Benjamin war heil, Schimeon ausgelöst, und des Verdachtes der Kundschafterei waren sie ehrenvoll freigesprochen: dergestalt sogar, daß sie mit dem machthabenden Mann und seinen Edelingen hatten zu Mittag speisen dürfen. Das stimmte sie sehr vergnügt und machte ihnen die Herzen leicht und stolz; denn so ist der Mensch, daß er, wenn er in einer Sache als rein befunden und seine Untadeligkeit in diesem Punkt ihm lobend bestätigt wird, es ihm gleich vorkommt, als sei er unschuldig überhaupt, und ganz vergißt, daß er auch sonst noch dies und jenes am Stecken hat. Den Brüdern muß man’s verzeihen. Das Mißgeschick, daß sie in Spitzel-Verdacht gefallen, hatten sie unwillkürlich ja in Verbindung gebracht mit alter Schuld; kein Wunder denn, daß sie, von jenem erlöst, vermeinten, es habe nun auch mit dieser nichts mehr auf sich.
    Bald sollten sie merken, daß sie so leichten Kaufs nicht davon kämen und nicht frei dahinzögen, die Säcke prall von bezahlter Speise für zwölf Häuser, sondern ein Band schleppten, das sie zurückzog in neue Nöte. Vorerst aber waren sie guter Dinge und hätten trällern mögen vor anerkannter, geehrter Unschuld. Im Haus der Belieferung hatte es wieder ein Frei-Mahl gegeben, unter

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