Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Verderbnis und solchen Undankes. Jüngster, deine Sache steht außerordentlich ernst!«
Und die anderen? Sie griffen sich an die Köpfe, indem sie mit vortretenden Augen auf den Becher starrten. Sie stießen ein Zischen aus mit gebäumten Lippen; denn so gebäumt waren diese, daß sie nicht ausbilden konnten: »Was-ist-das!«, sondern von jeder Silbe nur den Zischlaut hervorbrachten.
»Benoni!!« riefen sie mit weinend empörten Stimmen. »Rechtfertige dich! Tu’ gefälligst den Mund auf! Wie kommst du zu dem Becher?«
Aber Benjamin schwieg. Er senkte das Kinn auf die Brust, daß niemand konnte in seine Augen sehen, und verstummte.
Da zerrissen sie ihre Kleider. Einige wenigstens ergriffen tatsächlich den Saum ihres Leibrocks und zerrissen ihn mit einem Ratsch bis zur Brust herauf.
»Wir sind geschändet!« jammerten sie. »Geschändet vom Jüngsten! Benjamin, zum letzten Mal, tu’ den Mund auf! Rechtfertige dich!«
Doch Benjamin schwieg. Er hob nicht den Kopf auf und sprach kein Wort. Es war ein unbeschreibliches Schweigen.
»Vorhin hat er aufgeschrieen!« rief Dan, von Bilha. »Jetzt weiß ich es wieder, daß er unbeschreiblich geschrieen hat, als diese herankamen! Der Schrekken hat ihm den Schrei entrissen. Er wußte, warum sie uns nachsetzten!«
Da fielen sie über Benjamin her mit lautem Schimpf und pfetzten ihn und pfuiten ihn aus mit Pfui und Pfeu und nannten ihn Diebsbrut. »Sohn einer Diebin« nannten sie ihn und fragten: »Hat nicht schon seine Mutter die Teraphim ihres Vaters gestohlen? Es ist ein Erbe, und er hat’s im Blut. Ach, Diebesblut, mußtest du hier dein Erbteil zur Anwendung bringen, daß du uns dergleichen Pfuidian anrichtest und bringst in die Asche den ganzen Stamm, den Vater, uns alle und unsre Kinder?!«
»Jetzt übertreibt ihr«, sagte Mai-Sachme. »So ist es denn doch nicht. Ihr übrigen alle seid ja gereinigt und ledig. Wir nehmen nicht eure Mitschuld an, unterstellen vielmehr, daß der Kleine auf eigne Rechnung stibitzt hat. Frei mögt ihr nach Hause ziehen zu eurem redlichen Vater. Nur der sich des Bechers annahm, der bleibt uns verfallen.«
Aber Juda antwortete ihm:
»Keine Rede! Davon kann keine Rede sein, Haushofmeister, denn eine Rede will ich halten vor deinem Herrn, die Rede Juda’s soll er hören, ich bin entschlossen dazu. Wir alle kehren um mit dir vor sein Gesicht, und über uns alle soll er beschließen. Denn sämtlich sind wir haftbar in dieser Sache und sind wie einer bezüglich des Vorkommnisses. Siehe, dieser Jüngste war unschuldig all seine Jahre hin, denn er war zu Hause. In der Welt aber waren wir anderen und wurden schuldig in ihr. Wir sind nicht gesonnen, die Reinen zu spielen und ihn im Stiche zu lassen, weil er schuldig wurde auf Reisen, wir aber unschuldig sind gerade in dieser Sache. Auf, und führe uns sämtlich mit ihm vor des Markthalters Stuhl!«
»Sei es darum«, sagte Mai-Sachme. »Ganz wie ihr meint.«
Und zurück ging es gegen die Stadt, unter Lanzenbedeckung, den Weg, den sie sorglos gekommen waren. Benjamin aber sprach noch immer kein Wort.
I chbin’ s
Es war schon späterer Nachmittag, als sie vor Josephs Haus wieder eintrafen; denn dorthin führte der Haushalter sie, wie geschrieben steht, und nicht ins Große Schreibhaus, wo sie sich erstmals vor ihm geneigt und gebeugt hatten; nicht dort war er anzutreffen; er war in seinem Hause.
»Er war noch daselbst«, weiß die Geschichte und weiß es recht insofern als Pharao’s Freund zwar gestern nach dem fröhlichen Frühstück ins Amt zurückgekehrt war, heute aber von früh an das Haus nicht hatte verlassen mögen. Er wußte den Hauptmann, seinen Haushalter, am Werke und er wartete in Ungeduld. Das heilige Spiel näherte sich seinem Höhepunkt, und bei den Zehnen stand es, ob sie am Ort der Handlung dabei mittätig sein oder nur davon hören würden. Es war aus der Maßen spannend, ob sie den Jüngsten allein mit Mai-Sachme umkehren lassen würden oder sich alle ihm anschließen. Für sein Verhalten zu ihnen in Zukunft hing viel davon ab. Wir unsererseits sind jeglicher Spannung überhoben, weil wir überhaupt die Phasen der hier aufgeführten Geschichte am Schnürchen haben, und hier besonders noch, weil schon in unserer eigenen Aufführung festgelegt ist, was für Joseph noch spannend-zukünftig war, und wir schon wissen, daß die Brüder den Benjamin nicht wollten allein lassen mit seiner Schuld. Darum mögen wir lächelnd und längst Bescheid wissend dem Joseph zusehen, wie er
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