Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
schicken zu unserer Reinigung und um des Brotes willen, und dann lädt er ihn selbst nach Ägypten, ins Land des Schlammes. Daß der sich auf Jaakob versteht, das läßt sich nicht leugnen.«
»Spottest du über ihn«, fragte Benjamin dagegen, »oder über den Vater? Dem Kleinen ist beides nicht recht, denn, Ruben, mir ist so weh. Ruben, hör, was ich sage, mir ist so weh in der Brust, weil wir ziehen!«
»Ja«, sagte Ruben, »alle Tage kann man nicht mit dem Herrn Ägyptens zu Mittag essen und lustig werden mit ihm. Das ist eine Ausnahme. Nun heißt es bedenken, daß du kein Kind bist, sondern ein Hüttenhaupt, und daß deine Kinder nach Brot schreien.«
Bei Benjamin!
Bald kamen sie an einen Ort, da wollten sie Mittagsrast halten und kühlere Reisestunden erwarten. Das vorige Mal waren sie abends dorthin gelangt, nun kamen sie mittags. Man braucht nur Palmbaum, Brunnen und Baude zu nennen, um den Ort zu kennzeichnen und ihn dem Hörer so klar vor die Seele zu rufen, wie etwa der Mann, kraft seines Schaubechers, das Grab gesehen hatte von Benjamins Mutter. Sie freuten sich, die gemütliche Stätte wiederzusehen, mit der sich freilich die Erinnerung an einigen Schrecken verband, der ihnen hier rätselhaft zugestoßen. Doch der war beigelegt; aufgelöst war er in Harmonie und Beruhigung, und sorglos mochten sie sich der Rast im Schatten der Felsen erfreuen.
Noch stehen sie und blicken sich um, noch haben sie nicht die Hand ans Gepäck gelegt und begonnen, sich einzurichten, da gibt es Lärm und anschwellend Getöse in ihrem Rücken und aus der Richtung, von wo sie gekommen, und Rufe tönen: »He! Ho!« und »Halt!« Gilt ihnen das? Sie stehen wie angewurzelt und lauschen auf den Tumult, so stutzig, daß sie sich nicht einmal umwenden. Nur einer wendet sich um, das ist Benjamin. Was ist mit Benjamin? Er wirft die Arme empor mit den kurzen Händen und stößt einen Schrei aus, einen Schrei: Dann freilich verstummt er – und zwar auf lange.
Es ist Mai-Sachme, der anrollt mit Roß und Wagen, mit mehreren Wagen, Bewaffnete stehen darin. Sie springen ab und sperren das offene Felsenrund. Der Haushalter tritt gedrungen unter die Brüder.
Sein Gesicht war sehr grimm. Er hatte die starken Brauen zusammengezogen und einen Winkel seines Mundes verkniffen, nur einen, das wirkte besonders grimm. Er sagte:
»Finde ich euch und hab ich euch eingeholt? Nachgejagt bin ich euch auf Befehl des Herrn mit Rossen und Wagen und habe euch abgefangen, wo ihr euch lagern und euch verbergen wolltet. Wie wird euch zu Mute, da ihr mich seht?«
»Wir wissen nicht, wie«, antworteten die Verdutzten, die merkten, daß es wieder anging, daß die Hand wieder nach ihnen langte, sie vor Gericht zu ziehen und wieder sich alles mißtönig verwirrte, da eben noch Harmonie gewesen war. »Wir wissen garnicht recht, wie. Wir freuen uns, dich sobald schon wiederzusehen, doch unverhofft kommt es.«
»Habt ihr’s nicht gehofft«, sagte er, »so möchtet ihr’s doch gefürchtet haben. Warum habt ihr Gutes mit Bösem vergolten, daß man euch nachsetzen muß und euch gestellig machen? Männer, es steht sehr ernst um euch.«
»Erkläre dich!« sagten sie. »Wovon ist die Rede?«
»Daß ihr fragen mögt!« antwortete er. »Ist es nicht das, woraus mein Herr trinkt, und womit er weissagt? Es wird vermißt. Der Herr hatte ihn gestern bei Tische. Er ist entwendet worden.«
»Sprichst du von einem Becher?«
»Das tu’ ich. Von Pharao’s silbernem Becher, dem Herrn zu eigen. Er trank daraus gestern Mittag. Er ist nicht mehr da. Klärlich ist er gemaust. Jemand hat ihn mitgehen heißen. Wer? Da kann wohl leider kein Zweifel bestehen. Männer, ihr habt sehr übel getan!«
Sie schwiegen.
»Willst du andeuten«, fragte Juda, Lea’s Sohn, mit leisem Beben, »und wollen deine Worte besagen, daß wir ein Gerät vom Tisch des Herrn veruntreut haben und haben es diebisch mitgehen heißen?«
»Einen anderen Namen gibt es unglücklicherweise kaum für euer Betragen. Das Stück ist abgängig seit gestern und offenkundig stibitzt worden. Wer soll es haben verschwinden lassen? Da gibt es leider nur eine Antwort. Ich kann euch nur wiederholen, ihr Männer, daß eure Sache sehr ernst steht, denn ihr habt übel getan.«
Sie schwiegen wieder, stemmten die Fäuste in ihre Weichen und bliesen die Luft aus den Mündern.
»Höre, mein Herr!« sprach Juda wieder. »Wie wäre es, wenn du nach deinen Worten sähest und überlegtest die Rede, bevor du sie tust? Sie ist
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