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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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fünfundzwanzigsten Tage des Monats der Einbringung der Ernte. Friede und Gesundheit dem Empfänger!«
    Die Nachahmung
    So der Brief. Jaakob und seine Söhne studierten ihn abseits von den überbringenden Burgleuten, und da Jaakob die Söhne ansah, sagten sie ihm, über welches Verhalten sie für diesen Fall einig geworden waren, und er wunderte sich, konnte aber von Grundsatzes wegen nicht umhin, ihrem Vorschlage zuzustimmen; denn er sah ein, daß die Erfüllung der neuen Bedingung, die sie aufstellten, erstens einen geistlichen Erfolg von Bedeutung vorstellen, zweitens aber Sühne und Genugtuung in sich schließen werde für begangene Missetat. Als sie deshalb wieder mit den Briefträgern zusammensaßen, ließ er Dina’s beleidigten Brüdern das Wort, und es war Dan, der es führte und den Sendboten den Beschluß kund und zu wissen tat. Sie seien reich von Gottes wegen, sagte er, und legten auf die Höhe des Mahlschatzes für Dina, ihre Schwester, welche Sichem sehr richtig mit einer Palme und mit einer duftenden Granatblüte verglichen habe, nicht so großes Gewicht. Hierüber möchten Hemor und Sichem selber befinden nach ihrer Würde. Aber Dina sei nicht zu Sichem »gekommen«, wie er sich auszudrücken beliebe, sondern sie sei gestohlen worden, und damit sei eine neue Lage geschaffen, die ohne weiteres anzuerkennen sie, die Brüder, nicht gesonnen seien. Darum, damit sie sie anerkennten, sei ihre Vorbedingung, daß, wie Sichem persönlich sich löblicherweise habe beschneiden lassen, nunmehr alles, was Mannesnamen sei zu Schekem, dies tun müsse, Greise, Männer und Knaben, am dritten Tage vom gegenwärtigen an gerechnet, und zwar mit Steinmessern. Wenn das geschehen, wolle man wahrlich Hochzeit halten und ein großes Fest anrichten zu Schekem mit Lachen und Lärmen.
    Die Bedingung mutete unbändig an, war aber zugleich leicht auszuführen, und die Sendboten gaben sofort der Überzeugung Ausdruck, daß Hemor, ihr Herr, nicht anstehen werde, das Nötige zu verfügen. Kaum aber waren sie fort, als dem Jaakob plötzlich grasse Ahnungen aufstiegen über den Sinn und Zweck der scheinfrommen Auflage, also, daß er bis in sein Eingeweide erschrak und die Städter am liebsten zurückgerufen hätte. Weder glaubte er, daß die Brüder ihre alten und anfänglichen Gelüste abgetan, noch daß sie auf ihre Rache für Dina’s Raub und Entehrung verzichtet hätten; hielt er aber dies zusammen mit ihrer plötzlichen Nachgiebigkeit von neulich und mit ihrer nun lautgewordenen Forderung, erinnerte er sich ferner, wie es in ihren von Trauerschnitten zerrissenen Gesichtern ausgesehen, als ihr Sprecher der Hochzeit und des Festlärmes erwähnt hatte, die man nach erfüllter Bedingung zu Schekem anrichten wolle, so wunderte er sich seiner Begriffsstutzigkeit und darüber, daß er ihrer schwarzen Hintergedanken nicht gleich, während sie sprachen, ansichtig geworden war.
    Was ihn verblendet hatte, war die Freude an Imitation und Nachfolge gewesen. Er hatte Abrahams gedacht, und wie er auf des Herrn Befehl und zum Bunde mit ihm sein ganzes Haus, Ismael und alle Knechte, daheim geboren oder erkauft von allerlei Fremden, und alles, was Mannesnamen war in seinem Hause, eines Tages am Fleische beschnitten hatte, und war sicher gewesen, daß auch jene sich gestützt hatten auf diese Geschichte bei ihrem Geheisch, – ja, das hatten sie wohl getan, der Einfall kam ihnen von dort, aber wie dachten sie ihn zu Ende zu führen! Er wiederholte bei sich, was man erzählte, daß nämlich der Herr am dritten Tage, da es schmerzte, den Abraham besucht hatte, um nach ihm zu sehen. Vor der Hütte hatte Gott gestanden, wo Eliezer ihn nicht gewahrt. Doch Abraham sah ihn und lud ihn sehr ein. Da ihn aber der Herr seine Wunde auf- und zubinden sah, sprach er: »Es ist nicht schicklich, daß ich hier stehenbleibe.« So zart hatte Gott sich verhalten gegen Abrahams heilig schamhaftes Beschwer, – und jene nun, welchen Zartsinn gedachten sie den bresthaften Städtern zu erweisen am dritten Tage, da es schmerzte? Den Jaakob schauderte es ob solcher Imitation, und ihn schauderte wieder beim Anblick ihrer Gesichter, als Nachricht kam von der Burg, die Bedingung sei ohne Besinnen angenommen, und genau nach der Frist, am dritten Tage von gestern, werde das allgemeine Opfer vollzogen werden. Mehr als einmal wollte er die Hände erheben und sie beschwören; aber er fürchtete die Übermacht ihres empörten Bruderstolzes, ihr begründetes Anrecht auf Rache und

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