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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Länder des Königs plünderten« (denn das stand in den Briefen der Hirten und Häupter), einfach kein Augenmerk widmen konnte. So wurden diese Dokumente, die obendrein durch fehlerhaftes Babylonisch bei Hofe etwas lächerlich angemutet hatten, dem Archiv einverleibt, ohne in Pharaos Geist Entschlüsse zu Maßnahmen gegen jene Räuber gezeitigt zu haben, und auch sonst konnten die Jaakobsleute von Glück sagen. Die Städte, die um sie her lagen, in Gottesschrecken versetzt durch die außergewöhnliche Wildheit ihres Auftretens, unternahmen nichts gegen sie, und Jaakob, der Vater, nachdem er eine allgemeine Reinigung vorgenommen, zahlreiche Götzenbilder, die während dieser vier Jahre in sein Lager eingedrungen waren, eingesammelt und sie eigenhändig unter den heiligen Bäumen vergraben hatte, konnte sich ungestört in Bewegung setzen mit Pack und Troß, hinweg von der Greuelstätte Schekem, über welcher die Geier kreisten, und bereichert hinabschwanken gen Beth-el auf gebauten Straßen.
    Dina und Lea, ihre Mutter, ritten dasselbe kluge und starke Kamel. Zu beiden Seiten des Höckers hingen sie in geschmückten Körben unter dem Schattentuch, das über ein Rohrgestänge gebreitet war und das Dina fast immer ganz über sich herabließ, so daß sie im Dunklen saß. Sie war gesegneten Leibes. Das Kind, das sie zur Welt brachte, als ihre Stunde kam, wurde ausgesetzt nach der Männer Beschluß. Sie selbst kümmerte hin und verschrumpfte weit vor der Zeit. Mit fünfzehn Jahren glich ihr unseliges Frätzchen dem einer Alten.

VIERTES HAUPTSTÜCK
    DIE FLUCHT
    Urgeblök
    Schwere Geschichten! Jaakob, der Vater, war schwer und würdig davon wie von Hab und Gut, – von neuen sowohl und frisch vergangenen als auch von alten und uralten, von Geschichten und von Geschichte.
    Geschichte ist das Geschehene und was fort und fort geschieht in der Zeit. Aber so ist sie auch das Geschichtete und das Geschicht, das unter dem Boden ist, auf dem wir wandeln, und je tiefer die Wurzeln unseres Seins hinabreichen ins unergründliche Geschichte dessen, was außer- und unterhalb liegt der fleischlichen Grenzen unseres Ich, es aber doch bestimmt und ernährt, so daß wir in minder genauen Stunden in der ersten Person davon sprechen mögen und als gehöre es unserem Fleische zu, – desto sinnig-schwerer ist unser Leben und desto würdiger unseres Fleisches Seele.
    Da Jaakob wieder nach Hebron kam, auch Vierstadt genannt, da er kam zum Baum der Unterweisung, gepflanzt und geheiligt von Abram – dem Abiram oder einem, unbekannt welchem –, und heimkehrte zu seines Vaters Hütte, nachdem zwischenein noch Schwerstes geschehen, worauf man die Rede bringen wird zu seiner Stunde: nahm Isaak ab und starb, uralt und blind, ein Greis dieses Erbnamens, Jizchak, Abrahams Sohn, und redete in der Weihestunde des Todes vor Jaakob und allen, die da waren, in hohen und schauerlichen Tönen, seherisch und verwirrt, von »sich« als von dem verwehrten Opfer und von dem Blute des Schafsbocks, das als sein, des wahrhaften Sohnes, Blut habe angesehen werden sollen, vergossen zur Sühne für alle. Ja, dicht vor seinem Ende versuchte er mit dem sonderbarsten Erfolge wie ein Widder zu blöken, wobei gleichzeitig sein blutloses Gesicht eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Physiognomie dieses Tieres gewann – oder vielmehr es war so, daß man auf einmal dessen gewahr wurde, daß diese Ähnlichkeit immer bestanden hatte –, dergestalt, daß alle sich entsetzten und nicht schnell genug auf ihr Angesicht fallen konnten, um nicht zu sehen, wie der Sohn zum Widder wurde, während er doch, da er wieder zu sprechen anhob, den Widder Vater nannte und Gott. »Einen Gott soll man schlachten«, lallte er mit uralt-poetischem Wort und lallte weiter, den Kopf im Nacken, mit weit offenen, leeren Augen und gespreizten Fingern, daß alle sollten eine Festmahlzeit halten von des geschlachteten Widders Fleisch und Blut, wie Abraham und er es einst getan, der Vater und der Sohn, für welchen eingetreten war das gottväterliche Tier. »Siehe, es ist geschlachtet worden«, hörte man ihn röcheln, faseln und künden, ohne daß man gewagt hätte, nach ihm zu schauen, »der Vater und das Tier an des Menschen Statt und des Sohnes, und wir haben gegessen. Aber wahrlich, ich sage euch, es wird geschlachtet werden der Mensch und der Sohn statt des Tieres und an Gottes Statt, und aber werdet ihr essen.« Dann blökte er noch einmal naturgetreu und verschied.
    Sie blieben noch lange auf

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