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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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er wird dich fragen, was das heißen soll und was du dir da gesanglich erlaubst. Aber auch ihm sprichst du nicht, sondern zitherst und singst nur fort. Dann werden wir Elfe schon nachkommen und es ihm vernünftig erklären. Willst du ein braves Liedermäulchen sein und es so machen?«
    »Gern will ich das«, antwortete Serach klingend. »So etwas hab’ ich noch nie gehabt, meinem Saitenspiel unterzulegen, und mag da doch einer mal zeigen, was er kann! Es singen manche in Stadt und Land, aber den Stoff, den habe ich nun vor ihnen dahin und will sie alle damit aus dem Felde singen!«
    Dies gesagt, holte sie sich ihre Laute vom Stein, wo sie gesessen, nahm sie in den Arm, spreizte die spitzen, braunen Finger darauf, den Daumen dort und die Viere hier, und fing an, durch die Blumen dahinzugehen unentwegt, wenn auch in wechselndem Taktschritt, indes sie psalterte:
    »Singe, du Seele, ein neues Lied im Schreiten!
    Mein Herz dichtet ein fein Gedicht auf acht Saiten.
    Wovon es voll ist, davon strömt’s über im Sange hold,
    köstlicher denn Gold und viel feiner als Gold,
    süßer denn Honig und Honigseim,
    denn Frühlingsbotschaft bringe ich heim.
    Höret zu, alle Völker, meinem Geharf!
    Merket auf, was ich verkünden darf!
    Denn aufs Lieblichste ist mir das Los gefallen
    und bin auserwählt unter den Töchtern allen,
    da mir ward der wundersamste von allen Stoffen,
    der je einem Dichter untergeloffen.
    Den darf ich nun auf acht Saiten singen
    und dem Großvater die goldene Kunde bringen.
    Lieblich ist der Töne Reigen,
    Balsam allem Weh der Welt;
    aber wie erst, wenn dem höheren Schweigen
    menschlich deutend sich das Wort gesellt!
    Wie ist dieses dann erhoben!
    Wie vernünftig ist der Klang!
    Über alles ist zu loben
    feines Lied und Psaltersang!«
    So singend ging sie über die Trift dahin gegen die Hügel und die Öffnung der Hügel, schlug und zwickte die Saiten, daß sie schollerten und zirpten, und sang wieder:
    »Solch ein Wort, das wert der Töne,
    ward dem Klang, der in mir webt,
    daß sie tauschen ihre Schöne,
    und es heißt: der Knabe lebt!
    Ja, du Grundgütiger, was hab’ ich vernommen,
    und was ist dem Kinde zu Ohren gekommen!
    Was hab’ ich offenen Mundes erfahren
    von Männern, die in Ägypten waren!
    Nämlich vom Vater mein und den Herren Oheimen.
    Die gaben mir was zu dichten und reimen!
    Die beuten mir den herrlichsten von allen Stoffen,
    denn wen haben sie in Ägypten getroffen?
    Großväterchen, du wirst es nicht fassen,
    wirst’s aber doch müssen gelten lassen.
    Ist wie ein schöner Traum und doch wahr,
    ist so wirklich wie wunderbar.
    Welch ein Fall erles’ner Rarheit,
    daß dies beides einerlei,
    daß das Schöne ist die Wahrheit
    und das Leben Poesei!
    Hier ist’s einmal denn gelungen,
    wonach stets die Seele strebt,
    und so sei’s im Kehrreim dir gesungen,
    schön und wahr: dein Knabe lebt!
    Besser doch, daß eine Weile
    du es noch für bloße Schönheit hältst,
    damit dich’s nicht jählings übereile
    und du gar uns auf den Rücken fällst.
    So wie einst, als sie das blutige Zeichen brachten:
    Schweigend logen sie in ihren Hals,
    und dir wollt’ es ewig in der Seele nachten,
    wurdest stracks zur Säule Salz.
    Ach, was littest du für Schmerzen,
    dachtest nie ihn mehr zu sehn; tot war er in deinem Herzen,
    und nun soll er liebreich darin auferstehn!«
    Hier wollte ein Mann sie befragen, der auf dem Hügel gestanden hatte, ein Schäfer im Sonnenhut. Er hatte schon lange auf sie hinabgeblickt und ihr mit Verwunderung gelauscht; nun kam er hinab zu ihr, schloß sich ihren Schritten an und fragte:
    »Fräulein, was singt Ihr da im Marschieren? Es lautet so auffallend. Hab ich Euch doch öfters lobsingen gehört und ist mir nicht neu, daß Ihr’s wohl könnt auf den Saiten mit Schalle, aber so kraus und anzüglich hat’s noch nie geklungen. Und daß Ihr dabei so darauf los marschiert! Wollt Ihr zu Jaakob, dem Herrn, und gilt es ihm, was Ihr singt? Es schien mir so. Aber was ist’s, das Euch untergeloffen? Was ist so wirklich wie wunderbar, und was will Euer Kehrreim bedeuten: ›Der Knabe lebt‹?«
    Die Schreitende aber sah garnicht nach ihm hin, sondern schüttelte nur lächelnd den Kopf und nahm ihre Hand einen Augenblick von den Saiten, um den Finger auf ihre Lippen zu legen. Danach hob sie weiter an:
    »Singe, Serach, Aschers Kind, was du vernommen
    von den Elfen, die aus Ägypten gekommen!
    Singe, wie Gott sie in seiner Güte gesegnet,
    daß sie dort unten dem Manne

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