Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
seh’s euch an den Augen an, daß wir alle dasselbe im Sinne haben, und wäre eigentlich Aschers Sache, zu sagen, was ich jetzt sage, aber da er der Vater ist, so kommt er nicht drauf. Ich aber habe oft bewiesen, daß ich zum Richter tauge, und die mir eigene Spitzfindigkeit gibt mir das Folgende ein. Daß dies Mägdlein uns hier in den Weg läuft, Serach, der Liederfratz, als Erste vom ganzen Stamm, das ist kein Zufall nicht, sondern Gott hat sie uns gesandt zur Auskunft und gibt uns Weisung damit, wie wir es machen sollen. Denn das war alles Unsinn und linkisches Zeug, was wir geplant und uns ausgedacht, wie wir’s dem Vater beibringen sollten und es ihm steckten, ohne daß es ihn schreckte. Serach, die soll’s ihm stecken auf ihre Art, daß ihm die Wahrheit erscheint in Liedesgestalt, was immer die schonendste Art ist, sie zu erfahren, ob sie bitter ist oder selig, oder gar beides. Serach soll vor uns herziehen und es ihm singen als Lied, und wenn er auch nicht glauben wird, daß das Lied die Wahrheit ist, so werden wir doch den Grund seiner Seele erweicht und lieblich bestellt finden für die Saat der Wahrheit, wenn wir nachrücken mit Wort und Zeichen, und wird begreifen müssen, daß Lied und Wahrheit dasselbe sind, wie wir begreifen mußten, trotz größter Schwierigkeit, daß Pharao’s Markthalter derselbe war wie unser Bruder Joseph. Nun? Hab ich’s recht gesagt und zu Boden gestellt, was euch allen vorschwebte, wenn ihr sinnend über Serachs närrisches Köpfchen hinweg in die Lüfte blicktet?«
Ja, sagten sie, das habe er und habe recht gerichtet. So solle es sein, es sei des Himmels Auskunft und eine große Erleichterung. Und nun nahmen sie das Kind in die Lehre und schärften ihm ein, was los sei – schwierig war das, denn sie wollten immer alle auf einmal reden und ließen nur selten Einem allein das Wort, so daß Serach mit erschrocken-belustigten Augen von einem zum anderen, in ihre eifrig redenden Gesichter und auf das Gebärdenspiel ihrer Hände blickte.
»Serach«, sagten sie, »so und so. Glaub’s oder nicht, nur sing es, dann wollen wir schon kommen und es beweisen. Aber besser, du glaubst es, dann singst du es besser, denn es ist wahr, so unglaublich es klingt, du wirst ja deinem leiblichen Vater und deinen sämtlichen Onkeln glauben. Sieh also an, du hast deinen Oheim Jehosiph nicht gekannt, der abhanden kam, den Sohn der Rechten, Rahels Sohn, die die Sternenjungfrau hieß, er aber hieß der Dumuzi. Nun ja, nun ja! Und starb dem Jaakob, deinem Großväterlein, lange vor deiner Geburt, da ihn die Welt verschlang, so daß er nicht mehr vorhanden und tot war im Herzen Jaakobs durch all die Jahre. Nun aber hat sich herausgestellt, unglaublicherweise, daß es sich ganz anders verhält –«
»O Wunder, nun hat sich herausgestellt,
daß es sich ganz, ganz anders verhält«,
fing Serach voreilig an zu singen, lachend und mit so klangvollem Jubel, daß sie alle die rauhen Stimmen um sie her übertönte.
»Still, du Ausbund!« riefen sie. »Du kannst doch nicht lossingen, bevor du Bescheid weißt und ehe wir dich ins Bild gesetzt! Lerne erst was, bevor du schmetterst! Lerne dies: Dein Oheim Joseph ist auferstanden, will sagen: er war garnicht tot, sondern er lebet, und nicht nur, daß er lebet, sondern er lebet auch so und so. Zu Mizraim lebet er und zwar als der und der. Es war alles ein Irrtum, verstehst du, und das blutige Kleid war ein Irrtum, und Gott hat’s hinausgeführt über alles Erwarten. Hast du das aufgefaßt? Wir waren bei ihm in Ägyptenland, und er hat sich uns zu erkennen gegeben über allen Zweifel mit dem Worte ›Ich bin’s‹ und hat zu uns geredet so und so, daß er uns alle will nachkommen lassen, dich auch. Ist dir das eingegangen, daß du’s in Liedform bringen kannst? Dann sollst du’s dem Jaakob singen. Ein anstellig Kind ist unsere Serach und macht es so. Du nimmst jetzt gleich deine Klampfe und gehst damit vor uns her übers Land, singend mit Schalle, daß Joseph lebt. Zwischen den Hügeln da gehst du hindurch, gerad’ auf Israels Hüttenlager zu, und siehst weder rechts noch links, sondern singst nur immer. Wenn dir einer begegnet und dich zur Rede stellt, was das meint und was du da zitherst und reimst, so stehst du nicht Rede dem Frager, sondern gehst nur und singst: ›Er lebet!‹ Und wenn du zu Jaakob kommst, deinem Großväterchen, so sitzest du nieder zu seinen Füßen und singst so süß du nur kannst: ›Joseph ist nicht tot, sondern lebet.‹ Auch
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