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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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begegnet.
    Wer ist denn der Mann? Es ist Joseph allein!
    Es ist mein Oheim, hoch und fein.
    Alter, schaue darauf, es ist dein lieber Sohn;
    größer, denn er, ist nur Pharao um seinen Thron.
    Herr der Länder nennen sie ihn,
    fremdes Volk dient ihm auf den Knien,
    und von Königen wird er gelobt,
    ist als erster Diener des Staates erprobt.
    Der Bereich seiner Befugnisse ist ungemessen,
    allen Völkern gibt er zu essen;
    aus abertausend Scheuern spendet er Brot,
    trägt die Welt durch die Hungersnot.
    Denn er war es, der Vorsorge geübt;
    dafür ist er nun hochgeliebt.
    Seine Kleider sind Myrrhe und Aloe in seinen Kästen,
    wohnt in elfenbeinernen Palästen,
    daraus er hervortritt wie ein Bräutigam.
    Alter, da hinaus wollt’ es mit deinem Lamm!«
    Der Hirtenknecht ging immer mit und horchte mit wachsendem Erstaunen. Sah er andere Leute von fern, Magd oder Mann, so winkte er ihnen mit dem Arm, daß sie auch herankämen und dies mit anhörten. So war Serach bald von einer kleinen Zuhörerschar, Männern, Frauen und Kindern begleitet, die anwuchs, je näher sie dem Familienlager kam. Die Kinder trippelten, die Großen schritten, und alle wandten ihr die Gesichter zu, indes sie sang:
    »Du aber dachtest, er wäre zerrissen,
    hast mit Tränen genetzt deine Bissen.
    Zwanzig Jahre wohl hat es gedauert,
    daß du in der Asche um ihn getrauert.
    Siehst du es, Alter, siehst du es nun:
    Gott kann striemen und lindern.
    Ach, wie wunderlich ist er mit seinem Tun
    unter den Menschenkindern!
    Unbegreiflich ist es, wie er regiert,
    groß seiner Hände Geschäfte,
    ruhmreich, wie er dich nasgeführt,
    majestätisch dich äffte.
    Der ganzen Schöpfung kommt’s himmlisch vor,
    Thabor und Hermon jauchzen seinem Humor.
    Hat dir den Teuren vom Herzen genommen,
    nun aber sollst du ihn wiederbekommen.
    Hast dich, Alter, vor Schmerz gewunden
    und dich endlich darein gefunden.
    Da nun gibt er ihn dir wieder zurück,
    immer noch schön, wenn auch schon etwas dick.
    Wirst ihn nicht kennen,
    wirst nicht wissen, wie ihn nennen,
    werdet euch fremde Grüße lallen,
    wird keiner wissen, wer wem soll zu Füßen fallen.
    Also hat Gott sich’s ausgeheckt,
    wie er mein Großväterchen schaberneckt.«
    Hier nun war sie nebst ihren Mitgängern den Wohnungen der Ihren unter Mamre’s Terebinthen schon ganz nahe gekommen und sah Jaakob, den Gesegneten, vor dem Gehänge seines Hauses ehrwürdig auf der Matte sitzen. Darum nahm sie ihr Instrument höher und fester in den Arm, und da sie ihm letzthin wohlgekonnte Scherz- und Mißtöne abgezwickt, ließ sie es nun in vollem, rauschendem Wohllaut erklingen und wandte auch aus Brust und Kehle das Reinste auf zu den Strophen:
    »Ist ein Wort doch ewiger Schöne,
    das sich meinem Spiel verwebt,
    innig wert des Schmucks der Töne,
    jenes Wort: Der Knabe lebt!
    Sing es jauchzend, meine Seele,
    zu der Saiten Goldgetön!
    Denn nicht hielt den Sohn die Höhle;
    Herz, er soll dir auferstehn.
    Herz, es ist der bang Vermißte,
    dem die Erde Trauer trug,
    den sie lockten in die Kiste,
    den des Schweines Hauer schlug.
    Ach, er war nicht mehr vorhanden,
    und verödet lag die Flur.
    Doch nun klingt’s: Er ist erstanden.
    Alter Vater, glaube nur!
    Eines Gottes ist sein Schreiten,
    bunte Sommervögel taumeln mit,
    wie er aus beblümten Weiten
    lächelnd dir entgegentritt.
    Wintersgram und Todesbangen
    scheucht der Gruß, den er dir beut;
    auf die Lippen, auf die Wangen
    hat der Ewige Huld gestreut.
    Lies in seinen Schelmenblicken:
    Es war nur ein Gottesscherz.
    Und mit spätestem Entzücken
    zieh ihn an das Vaterherz!«
    Jaakob hatte seine Enkelin, das Liedermäulchen, längst schon kommen sehen und mit Wohlgefallen ihrer Stimme gelauscht. Er war sogar so gütig gewesen, beifällig begleitend seine Hände gegen einander zu bewegen während ihres Herannahens, wie wohl Umsitzende gern zu Gesang und Spiel rhythmisch in die Hände klatschen. Bei ihm angelangt, hatte das Mägdlein, ohne etwas zu sagen, sondern immer nur singend, sich zu ihm auf die Matte niedergelassen, während das von ihr angelockte Hofvolk in geziemender Entfernung von den beiden stehen geblieben war. Der Greis lauschte und ließ dabei langsam die Hände sinken. Aus dem Wiegen seines Hauptes wurde allmählich ein befremdetes Schütteln. Als sie geendet hatte, sagte er:
    »Brav und lieblich so weit, mein Großkind! Es ist aufmerksam von dir, daß du gezogen kommst, Serach, um dem verlassenen Alten einen kleinen Ohrenschmaus zu bereiten. Du siehst, ich kenne dich

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