Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
wohl bei Namen, wie nicht alle meine Enkel, denn es sind ihrer zu viele. Du aber hebst dich behältlich aus ihnen hervor, denn durch deine Wiegengabe, den Gesang, erfährt deine Person eine starke Betonung, und man merkt sich leicht, wie du heißt. Höre nun aber, Begabte, wie ich dir zugehört habe mit sinnigem Anteil, aber nicht ohne Besorgnis des Geistes. Denn um die Poesei, liebe Kleine, ist’s immer ein gefährliches, schmeichlerisch-verführerisch Ding; Liederwesen ist leider nicht ferne der Liederlichkeit und neigt zu Rückfall und zierlicher Abirrung, wenn’s nicht gezügelt ist von der Gottessorge. Schön ist das Spiel, aber heilig der Geist. Spielender Geist ist die Poesei, und ich klatsche herzlich angetan in die Hände dazu, wenn sich der Geist nichts vergibt im Spiel und bleibt Gottessorge. Was aber hast du mir da geträllert, und was soll ich halten von dem, der über die Flur gewandelt kommt mit Schelmenblicken, umgaukelt von Sommervögeln? Das scheint mir eine Art von bedenklichem Wiesengott zu sein und ist offenbar der, den die Landeskinder den ›Herrn‹ nennen zur Verwirrung der Meinen und zur Betörung der Kinder Abrahams. Denn auch wir sprechen vom Herrn, meinen’s aber ganz anders, und ich kann nicht genug Acht haben auf Israels Seele und nicht genug predigen unterm Unterweisungsbaum, daß der ›Herr‹ nicht der Herr ist, weil nämlich immer das Volk im Begriffe steht, sie zu verwechseln und rückfällig zu werden auf den Wiesengott nach seiner Lust. Denn Gott ist eine Anstrengung, aber die Götter sind ein Vergnügen. Ist es nun recht und gut, liebes Kind, daß du’s dahingehen läßt mit deiner Gabe in Laxheit und mir Landespoesei psalterst?«
Aber Serach schüttelte nur lächelnd den Kopf und gab nicht Antwort mit Rede, sondern griff nur wieder in die Saiten und sang:
»Wer ist’s denn, den ich singe? Es ist Joseph allein!
Es ist mein Oheim hoch und fein.
Alter, schaue darauf, es ist dein lieber Sohn;
größer denn er ist nur Pharao um seinen Thron.
Großväterchen, du wirst es nicht fassen,
wirst’s aber doch müssen gelten lassen.
Denn ein Wort, gar wert der Töne,
ward dem Klang, der in mir webt,
daß sie tauschen ihre Schöne,
und es heißt: Der Knabe lebt!«
»Kind«, sagte Jaakob bewegt, »es ist wohl lieb und artig, daß du kommst und mir von Joseph singst, meinem Sohn, den du nie gekannt, und widmest ihm deine Gabe, um mir eine Freude zu machen. Dein Liedchen aber lautet verworren, und ob deine Reime auch passen, singst du doch Ungereimtes. Ich kann’s nicht gelten lassen, denn wie magst du wohl psaltern ›Der Knabe lebt‹? Das kann mich nicht freuen, denn es ist leere Schönsingerei. Joseph ist lange tot. Zerrissen ist er, zerrissen.«
Und Serach erwiderte unter vollen Griffen:
»Sing es jauchzend, meine Seele,
Zu der Saiten Goldgetön, –
daß nicht hielt den Sohn die Höhle;
Herz, er soll dir auferstehn.
Lange war er nicht vorhanden,
Und verödet lag die Flur,
doch nun klingt’s: Er ist erstanden.
Alter Vater, glaube nur!
Alle Völker versieht er mit Brot,
trägt die Welt durch die Hungersnot.
Denn Noah’s Vorsorge hat er geübt,
dafür ist er nun hochgeliebt.
Seine Kleider sind Myrrhe und Aloe in seinen Kästen,
wohnt in elfenbeinernen Palästen,
daraus er hervortritt wie ein Bräutigam.
Alter, da hinaus wollt’ es mit deinem Lamm!«
»Serach, mein Enkelkind, du unbändiger Sangesmund«, sprach Jaakob dringlich, »was soll ich von dir denken? Außerhalb der Psalterei wär es schon wenig schicklich, daß du mich einfach ›Alter‹ nennst. Als Sangeslizenz wollt’ ich’s hingehen lassen, wäre es nur die einzige, die dein Lied sich nimmt! Aber es besteht ja aus lauter Freiheiten und tollen Trugbildern, mit denen du mich, wie es scheint, ergötzen möchtest, da doch die Ergötzung durch das Nichtige nur Betörung ist und der Seele nicht frommt. Darf denn das wohl die Poesei sich herausnehmen, und ist’s nicht ein Mißbrauch der Gabe, Dinge zu künden, die gar keinen Bezug haben zum Wirklichen? Einiger Verstand muß doch bei der Schönheit sein, oder sie ist nur ein Spott dem Herzen.«
»Staune«, sang Serach,
»Staune glücklich dieser Rarheit,
daß hier beides einerlei,
daß das Schöne lautre Wahrheit,
Leben – Gottespoesei!
Ja, hier ist’s einmal gelungen,
wonach stets die Seele strebt,
und so sei es aber dir gesungen,
schön und wahr: Dein Knabe lebt!«
»Kind«, sagte Jaakob zitternden Hauptes. »Liebes Kind
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