Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
...«
Sie aber frohlockte in beflügeltem Zeitmaß, zu Klängen, die stoben und sprangen:
»Siehst du es, Alter, siehst du es nun?
Gott kann striemen und lindern.
Ach, wie wunderlich ist er mit seinem Tun
unter den Menschenkindern!
Hat dir den Liebling vom Herzen genommen,
und nun sollst du ihn wiederbekommen.
Hast dich, Armer, vor Schmerz gewunden,
dich mit den Jahren darein gefunden;
da nun gibt er ihn dir wieder her,
immer noch schön, wenn auch schon etwas schwer.
Ja, so hat Gott sich’s ausgeheckt,
daß er mein Großväterchen schaberneckt!«
Er streckte abgewandt seine Hand nach ihr aus, als wollte er ihr Einhalt tun, die müden braunen Augen voll Tränen. »Kind«, sagte er immer nur, »Kind ...« Und achtete nicht der Bewegung, die in der Nähe vor ihnen entstanden war, nicht der Meldung, die man ihm freudig erstattete. Denn zu den Neugierigen, die mit Serach gekommen waren und ihren Psaltern gelauscht hatten, waren andere gestoßen, die frohe Heimkehr verkündeten, und während das Hofvolk von allen Seiten zusammenlief, eilten zwei Männer vor ihn und sagten ihm an:
»Israel, die Elfe sind wieder da von Ägypten, deine Söhne mit Mann und Wagen und viel mehr Eseln, als mit denen sie ausgezogen!«
Aber da waren sie schon, saßen ab und kamen heran, Benjamin in ihrer Mitte, den die anderen Zehn alle ein wenig anfaßten, weil jeder ihn eigenhändig wieder vor den Vater zu bringen wünschte.
»Frieden und volle Gesundheit«, sprachen sie, »Vater und Herr! Hier ist Benjamin. Wir haben ihn dir heilig bewahrt, ob wir auch zeitweise in starkes Gedränge mit ihm gerieten, und magst ihn nun wieder gängeln. Hier ist auch Schimeon wieder, dein Held. Dazu bringen wir Speise in Fülle und reiche Geschenke vom Herrn des Brotes. Siehe, glücklich sind wir zurück und ist ›glücklich‹ auch annähernd noch nicht das rechte Wort.«
»Knaben«, antwortete Jaakob, der sich erhoben hatte, »Knaben, gewiß, seid willkommen.«
Er legte Besitz ergreifend den Arm um den Jüngsten, tat’s aber, ohne es recht zu wissen und schaute benommen.
»Ihr seid wieder da«, sagte er, »seid allzumal zurück von fährlicher Reise, – das wäre ein großer Augenblick unter andern Umständen, und er füllte mir zweifellos ganz die Seele aus, wäre sie nicht gerade so vollbeschäftigt. Ja, höchst vollbeschäftigt trefft ihr mich an, nämlich durch dieses Mägdlein, – Ascher, es ist dein Kind, – das sich zu mir gesetzt hat mit süß faselndem Gesang und tollen Märlein von meinem Sohne Joseph, also daß ich nicht weiß, wie meinen Verstand vor ihr wahren, und euere Ankunft hauptsächlich deswegen begrüße, weil ich erwarten darf, daß ihr mich schützen werdet vor diesem Kinde und der Betörung seines Geharfs, denn ihr werdet nicht dulden, daß meines grauen Hauptes gespottet sei.«
»Niemals werden wir das«, erwiderte Juda, »soweit wir’s irgend verhindern können. Aber nach unser aller Meinung, Vater, – und es ist eine begründete Meinung –, tätest du besser, wenn auch zum Anbeginn nur entfernt, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, daß etwas Wahres sein könnte an ihrem Geharf.«
»Etwas Wahres?« wiederholte der Alte und richtete sich auf. »Wagt ihr es, mir zu kommen mit solcher Schwächlichkeit und Israel zuzumuten das Halb-und-Halbe? Wo wären wir und wo wäre Gott, hätten wir je uns abspeisen lassen mit dem Allenfallsigen? Die Wahrheit ist eine und ist unteilbar. Dreimal hat mir dies Kind gesungen: ›Der Knabe lebt!‹ Es kann nichts Wahres sein an dem Wort, ohne, es wäre die Wahrheit. Darum, was ist es?«
»Die Wahrheit«, sprachen die Elf im Chor, indem sie die flachen Hände hoben. Und:
»Die Wahrheit!« kam es jauchzend und staunend zurück von hinter ihnen aus der Menge der versammelten Hofleute. Kinder-, Frauen- und Männerstimmen echoten es jubelnd: »Sie sang die Wahrheit!«
»Väterchen«, sagte Benjamin, indem er Jaakob umschlang. »Du hörst es und so begreife es auch, wie wir es begreifen mußten, der Eine früher, der Andere später: Der Mann dort unten, der nach mir fragte und der so viel nach dir fragte ›Lebt euer Vater noch?‹ – Joseph ist es, er und Joseph sind einer. Nie war er tot, meiner Mutter Sohn. Ziehende Männer haben ihn dem Untier aus den Klauen gerissen und ihn nach Ägypten geführt, da ist er gewachsen wie an einer Quelle und der Erste geworden der Unteren, – die Söhne der Fremde schmeicheln ihm, denn sie würden dahinschmachten ohne seine Weisheit.
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