Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Mizraim zu überheben. Dem aber stand das Ideen-Motiv des Nachkommenlassens entgegen, das, wie auch Jaakob völlig verstand, die Sternenstunde bestimmte. Joseph war nicht darum abgesondert und entrückt worden, und nicht darum war Jaakobs Gesicht hochgeschwollen gewesen vom Weinen um ihn, damit man nun einander einmal besuchte, sondern damit er Israel nachkommen lasse; und Jaakob war ein viel zu geübter Gotteskenner, um nicht zu begreifen, daß die Dahinraffung des Schönen, seine Verherrlichung drunten, die hartnäckige Teuerung, die die Brüder nach Ägypten genötigt, – daß dies alles einer weitschauenden Planung angehörige Veranstaltungen waren, denen Beachtung zu verweigern grobe Narrheit gewesen wäre.
Man möge es anmaßend und allzu ichbezogen nennen, daß Jaakob in einer so ausgebreiteten, viele Völker bedrückenden und ganze wirtschaftliche Umwälzungen hervorrufenden Kalamität, wie der herrschenden Dauerdürre, nichts sah, als eine Maßregel zur Leitung und Beförderung der Geschichte seines eigensten Hauses: in der Meinung offenbar, daß, wenn es sich um ihn und die Seinen handle, der Rest der Welt schon dies und das in Kauf nehmen müsse. Aber Anmaßung und Ichbezogenheit sind nur verneinende Namen für ein denn doch höchst bejahenswertes und fruchtbares Verhalten, dessen schönerer Name Frömmigkeit lautet. Gibt es eine Tugend, die nicht tadelnden Bezeichnungen bloßstünde, und in der sich nicht Widersprüche, wie der von Demut und Hoffart, vereinigten? Frömmigkeit ist eine Verinnigung der Welt zur Geschichte des Ich und seines Heils, und ohne die bis zur Anstößigkeit getriebene Überzeugung von Gottes besonderer, ja alleiniger Kümmernis um jenes, ohne die Versetzung des Ich und seines Heils in den Mittelpunkt aller Dinge, gibt es Frömmigkeit nicht; das ist vielmehr die Bestimmung dieser sehr starken Tugend. Ihr Gegenteil ist die Nichtachtung des eigenen Selbst und seine Verweisung ins Gleichgültig-Peripherische, aus welcher auch für die Welt nichts Gutes kommen kann. Wer sich nicht wichtig nimmt, ist bald verkommen. Wer aber auf sich hält, wie Abram es tat, als er entschied, daß er, und in ihm der Mensch, nur dem Höchsten dienen dürfe, der zeigt sich zwar anspruchsvoll, wird aber mit seinem Anspruch vielen ein Segen sein. Darin eben erweist sich der Zusammenhang der Würde des Ich mit der Würde der Menschheit. Der Anspruch des menschlichen Ich auf centrale Wichtigkeit war die Voraussetzung für die Entdeckung Gottes und nur gemeinsam, mit dem Erfolge gründlichen Verkommens einer Menschheit, die sich nicht wichtig nimmt, können beide Entdeckungen wieder verloren gehen.
Hier ist aber folgendermaßen fortzufahren: Verinnigung bedeutet nicht Verengung, und die Hochschätzung des Ich meint keineswegs seine Vereinzelung, Abschnürung und Verhärtung gegen das Allgemeine, das Außerund Überpersönliche, kurz, gegen alles, was über das Ich hinausreicht, aber worin es sich feierlich wiedererkennt. Wenn nämlich Frömmigkeit die Durchdrungenheit ist von der Wichtigkeit des Ich, so ist Feierlichkeit seine Ausdehnung und sein Verfließen ins Immer-Seiende, das in ihm wiederkehrt, und in dem es sich wiedererkennt, – ein Verlust an Geschlossenheit und Einzeltum, der seiner Würde nicht nur nicht Abbruch tut, ja, sich nicht nur mit dieser Würde verträgt, sondern sie zur Weihe steigert.
So ist die Stimmung Jaakobs in dieser Zeit des Aufbruchs, während seine Söhne die damit verbundenen Geschäfte abwickelten, nicht weihevoll genug vorzustellen. Er war im Begriffe, ganz tatsächlich auszuführen, wovon er in der Zeit seines hochgradigsten Jammers geträumt und vor Eliezers Ohren fieberhaft geschwatzt hatte: nämlich zu seinem verstorbenen Sohn in die Unterwelt hinabzusteigen. Das war ein sternenhafter Vorgang; und wo das Ich seine Grenzen gegen das Kosmische öffnet, sich darin verliert, sich damit verwechselt, kann da von einer Vereinzelung und Abschnürung die Rede sein? Der Gedanke des Aufbruchs selbst war voll von ausdehnenden und bedeutenden Elementen des Immerseins und der Wiederkehr, die den Augenblick über alle Punkthaftigkeit und dürre Einmaligkeit erhoben. Jaakob, der Greis, war Jaakob, der Jüngling, wieder, der nach richtig stellendem Betruge von Beerscheba aufbrach gegen Naharaim. Er war Jaakob, der Mann, der, mit Weibern und Herden, sich von Charran gelöst hatte nach einer Station von fünfundzwanzig Jahren. Aber er war nicht nur er selbst, in dessen Leben auf anderen
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