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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Glieder nicht zu dem Wanderzug gehörten, sind sie, obgleich darin eingeschlossen, davon abzuziehen. Der Notwendigkeit Abzüge zu machen, ist aber damit aus dem Grunde noch nicht Genüge geschehen, weil unverkennbar Seelen mitgezählt wurden, die zum Zeitpunkt der Ausreise noch garnicht auf der Welt waren. Über die Berechtigung dazu mag zu reden sein im Falle Jochebeds, einer Tochter Levi’s, mit der die Mutter damals schwanger ging, und die beim Eintritt in Ägypten »zwischen den Mauern«, denen der Grenzfeste offenbar, geboren wurde. Aber es ist klar, daß in die Summe der Wandernden Enkel und Großenkel Jaakobs einbezogen wurden, die weder geboren noch auch nur schon gezeugt, also nur vorgesehen, nicht aber bereits vorhanden waren. Sie kamen nach Ägypten, wie fromme Gelehrsamkeit es ausdrückt, »in lumbis patrum« und nahmen am Auszuge nur in einem sehr geistigen Sinne teil.
    Soviel über die notwendigen Abzüge. Aber auch an zwingenden Gründen, die Neunundsechzig aufzuhöhen, fehlt es nicht. Soviel betrug ja allein der männliche Samen Jaakobs; wenn aber – oder besser gesagt: da seine gesamte unmittelbare Nachkommenschaft in Rechnung zu stellen ist, so sind, wenn auch gewiß nicht die Weiber der Söhne, so doch deren Töchter hinzuzunehmen, zum Beispiel Serach, um nur diese, sie aber mit Nachdruck, zu nennen. Das Mägdlein nicht mitzuzählen, das dem Vater zuerst die Kunde von Josephs Leben gebracht hatte, wäre völlig unstatthaft gewesen. Ihr Ansehen war sehr groß in Israel, und über die Erfüllung des Segens, den Jaakob in seiner Dankbarkeit über sie ausgesprochen, nämlich, daß sie den Tod nicht schmecken und lebend ins Himmelreich eingehen solle, gab es nirgends einen Zweifel. Tatsächlich weiß niemand, wann sie gestorben sein sollte; ihr Leben hat allen Anschein unabsehbarer Dauer. Von ihr geht die Nachricht, sie habe nach Menschenaltern dem auf der Suche nach Josephs Grab umherirrenden Mann Mose die Stelle dieses Grabes, nämlich im Nilstrom, gewiesen; und ungeheuer viel später noch soll sie unter dem Namen der »Weisen Frau« ihr Wesen im Abramsvolke getrieben haben. Wie es nun auch damit stehe; ob wirklich zu so verschiedenen Zeiten dieselbe Serach am Leben war oder andere Mägdelein das Bewußtsein der kleinen Meldegängerin und Verkünderin aufnahmen, – daß sie in die Zahl der siebzig Wandernden einzuschließen war, was »siebzig« hier immer meinen mochte, daran wird niemand rütteln.
    Nicht einmal aber in Ansehung der Weiber der Söhne, also der Mütter von Jaakobs Enkelvolk, ist die Nicht-Eignung zum Mitgezähltwerden durchgehend gesichert. Wir sprechen von »Müttern« und nicht nur von »Weibern«, weil wir Thamar im Auge haben, die, dem Worte gemäß, »Wohin du gehst, da will ich auch hingehen«, nebst ihren beiden weidlichen Juda-Söhnen im Zug ging. Meistens zu Fuße ging sie, an einem langen Stabe, für eine Frau sehr weit ausschreitend, hoch und dunkel, mit kreisrunden Nasenlöchern und stolzen Mundes, dabei mit dem ihr eigentümlichen auf Fernes eingestellten Blick, – und diese Entschlossene, die sich nicht hatte ausschalten lassen, hätte nicht sollen mitgezählt werden? – Etwas anderes war es mit ihren beiden Gatten ’Er und Onan: weder bei Mond- noch bei Tageslicht waren die mitzuzählen, denn sie waren tot, und wenn Israel zwar Zukünftiges mitzählte, so doch nicht Verstorbenes. Schelach dagegen, der Gatte, den sie nicht bekommen hatte, den sie aber auch nicht mehr brauchte, da sie ihm ausgezeichnete Halbbrüder gegeben hatte, war mit dabei und war von der Zahl der Lea-Enkel, die zweiunddreißig betrug.
    Traget ihn!
    In der Übereinkunft also, zu siebzig zu sein, zog Israel aus vom Haine Mamre, des Amoriters. Alles mitgezählt, was nicht mitgezählt wurde, auch Hirten, Treiber, Sklaven, Fuhr- und Packknechte, war sicher der Zug über hundert Personen stark, – ein bunter, geräuschvoller, durch die mitgetriebenen Herden schwerfälliger, in Staubwolken gehüllter Heerwurm und Wanderstamm. Die Fortbewegungsart seiner Teile war verschiedenartig, – unter uns gesagt, war der von Joseph gesandte ägyptische Wagenpark dabei wenig nütze. Dies soll nicht gerade von den »Agolt« genannten Lastwagen gelten, zweirädrigen und meist mit Ochsen bespannten Karren, deren Wert für die Beförderung von Hausrat, Wasserschläuchen und Furage, auch von Frauen mit kleinen Kindern, dankbar anerkannt werden möge. Die eigentlichen Reisewagen dagegen, vom Typus des »Merkobt«,

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