Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
daß er seine Geschichten besann, die vergangenen und die zukünftigen, und niemand unterfing sich, ihn darin zu stören, es sei denn höchstens, daß man ihn ehrerbietig nach seinem Wohlsein befragte. Vor allem war er des Wiedersehens mit dem von Abraham gepflanzten heiligen Baum zu Beerscheba gewärtig, unter dem er zu opfern, zu lehren und zu schlafen gedachte.
Jaakob lehrt und träumt
Die riesige Tamariske stand, einen urtümlichen Steintisch und eine aufrechte Steinsäule oder Massebe beschattend, abseits der bevölkerten Siedelung Beerscheba, die unsere Wanderer garnicht berührten, auf einem mäßigen Hügel und war, scharf hingesehen, wohl nicht von Jaakobs Vatersvater gepflanzt, sondern von ihm als Gottesbaum und 'élôn môreh, das ist: Orakelbaum, von den Kindern des Landes übernommen und aus einem Baalsheiligtum zum Mittelpunkt einer Kultstätte seines höchsten und einzigen Gottes umgedeutet worden. Dies mochte Jaakob sogar bewußt sein, ohne ihn in der Auffassung zu stören, der Baum sei eine Pflanzung Abrams. In einem geistigen Sinn war er es allerdings, und des Vaters Denkungsart war milder und weiter, als die unsere, die nur Eines oder das Andere kennt und gleich auf den Tisch schlägt: »Wenn das schon ein Baalsbaum gewesen war, so hatte nicht Abraham ihn gepflanzt!« Mehr hitzig und störrisch ist solcher Wahrheitseifer, als weise, und weit mehr Würde ist bei der stillen Vereinigung beider Aspekte, wie Jaakob sie tätigte.
Unterschieden sich doch auch die Formen, in denen Israel unter dem Baum dem Gott der Ewigkeiten huldigte, fast nicht von den Kultbräuchen der Kinder Kanaans – mit Ausnahme alles Unfugs, versteht sich, und anstößiger Scherze, in die unvermeidlich der Dienst jener Kinder auszulaufen pflegte. Zu Füßen des heiligen Hügels, rund herum, wurden die Rastzelte aufgeschlagen, und sogleich begann die Zurüstung der Schlachtungen, die auf dem Dolmen, dem Steintisch der Urzeit, vollzogen werden sollten, des Opfermahls, das gemeinsam danach zu verzehren war. Hatten die Baalskinder es anders gemacht? Hatten nicht auch sie das Blut von Lämmern und Böcken hinlaufen lassen auf dem Altar und den starrenden Stein zur Seite damit bestrichen? Allerdings; die Kinder Israels aber taten’s in anderem Geist und in gebildeterer Frömmigkeit, was hauptsächlich darin seinen Ausdruck fand, daß sie nach dem Gottesessen nicht paarweise miteinander scherzten, wenigstens nicht öffentlich.
Jaakob unterwies sie auch in Gott unter dem Baum, was ihnen nicht etwa langweilig, sondern sogar den Halbwüchsigen schon höchst unterhaltend und wichtig war, denn alle waren sie mehr oder weniger begabt in dieser Richtung und erfaßten mit Lust auch das Knifflige. Er belehrte sie über den Unterschied zwischen der Vielnamigkeit Baals und derjenigen des Gottes ihrer Väter, des Höchsten und Einzigen. Jene bedeutete in der Tat eine Vielheit, denn es gab keinen Baal, es gab nur Baale, das heißt Inhaber, Besitzer und Beschützer von Kultstätten, Hainen, Plätzen, Quellen, Bäumen, eine Menge Flur- und Hausgötter, die vereinzelt und ortsgebunden webten, in ihrer Gesamtheit kein Gesicht, keine Person, keinen Eigennamen hatten und höchstens »Melkart«, Stadtkönig hießen, wenn sie eben dergleichen waren, wie der von Tyrus. Es hieß einer Baal Peôr nach seinem Orte, oder Baal Hermôn oder Baal Meôn, es hieß wohl einer auch Baal des Bundes, was zu gebrauchen gewesen war für Abrams Gottesarbeit, und einer hieß lächerlicherweise sogar Tanz-Baal. Da war wenig Würde und gar keine Gesamt-Majestät. Ganz anders dagegen stand es mit der Namensvielheit des Vätergottes, die seiner persönlichen Einheit nicht den leisesten Abbruch tat. Er hieß El eljon, der höchste Gott, El ro’i, der Gott, der mich sieht, El olâm, der Gott der Äonen, oder, seit Jaakobs aus der Erniedrigung geborenem großen Gesicht, El bêtêl, der Gott von Lus. Aber das alles waren nur wechselnde Bezeichnungen für ein und dieselbe höchst seiende Gottesperson, nicht ortsgebunden, wie die verzettelte Vielheit der Flur- und Stadtbaale, sondern in allem wesend, wovon ihnen die einzelne Inhaberschaft beigelegt wurde. Die Fruchtbarkeit, die sie spendeten, die Quellen, die sie bewachten, die Bäume, in denen sie wohnten und flüsterten, die Gewitter, in denen sie tobten, der keimreiche Frühling, der dörrende Ostwind, – Er war dies alles, was jene im Einzelnen waren, Ihm eignete es, der Allgott war Er allhiervon, denn aus Ihm kam es, in
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