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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Ägypten hinabzufahren. Er bekleidet dort hohen Rang.« Die Leute, zu denen er so sprach, lächelten wohl gar hinter dem Rücken des Alten und machten sich lustig über seine Vater-Eitelkeit. Sie wußten nicht, wieviel ernste Abstandnahme, Verzicht und strenger Beschluß auch wieder in dieser Redeweise sich ausdrückte.
    Ihrer siebzig
    Aus blumigem Frühling war später Sommer geworden, bis Israel seine Abwicklungsgeschäfte getätigt hatte und der Auszug vom Haine Mamre, der gen Hebron liegt, geschehen konnte: Beerscheba war nächstes Ziel, und einige Tage frommen Säumens waren verordnet an dieser Grenzstätte, der Stätte von Jaakobs und seines Vaters Geburt, der Stätte, wo Rebekka, die entschlossene Mutter, den Segensdieb einst abgefertigt hatte zur Reise nach Mesopotamien.
    Jaakob löste sich von seiner Stätte und brach auf mit Herden und Habe, mit Söhnen und Sohnessöhnen, mit Töchtern und Tochtersöhnen. Oder, wie es auch heißt: er zog mit seinen Weibern, Töchtern und Söhnen und den Weibern der Söhne, – eine verschränkte Aufzählung, denn mit seinen »Weibern« waren eben die Weiber der Söhne gemeint und mit den »Töchtern« wiederum dieselben, dazu etwa noch die Töchter der Söhne, zum Beispiel die singende Serach. Man brach auf zu siebzig Seelen, – das heißt: man erachtete sich für siebzig an der Zahl; aber das zwar keine gezählte Zahl, sondern ein Zahlgefühl und sinnige Übereinkunft: es herrschte dabei jene Mondlicht-Genauigkeit, von der wir wohl wissen, daß sie sich für unseren Äon nicht schickt, in jenem aber durchaus gerechtfertigt war und für das Richtige stand. Siebzig war die Zahl der auf Gottes Tafel verzeichneten Völker der Welt, und daß sie folglich die Zahl der aus den Lenden des Erzvaters hervorgegangenen Nachkommen war, unterlag keiner taghellen Nachprüfung. Aber wenn es sich um Jaakobs Lenden handelte, so hätte man die Weiber der Söhne nicht mitzählen dürfen? Das tat man auch nicht. Wo überhaupt nicht gezählt wird, wird auch nicht mitgezählt, und angesichts eines heilig vorweggenommenen und auf schönem Vorurteil beruhenden Resultats verfällt die Frage, was mitgezählt und was nicht mitgezählt wird, der Müßigkeit. Es ist nicht einmal sicher, ob Jaakob sich selber mitzählte, und ob die anderen ihn in ihre Zahl, nämlich siebzig, einschlossen oder als Einundsiebzigsten draußen ließen. Wir müssen es uns gefallen lassen, daß der Äon beide Möglichkeiten gleichzeitig gewährte. Viel später zum Beispiel hatte ein Nachkomme Juda’s, genauer: seines Sohnes Perez, den Thamar ihm zielbewußt geschenkt, – hatte also dieser Nachkomme, ein Mann namens Isai, sieben Söhne und einen Jüngsten, der die Schafe hütete, und über den das Salbhorn erhoben wurde. Was meint dieses »Und«? War er in die Siebenzahl als Jüngster eingeschlossen, oder hatte Isai acht Söhne? Jenes ist das Wahrscheinlichere, denn es ist viel schöner und richtiger sieben Söhne zu haben als acht. Mehr als wahrscheinlich aber, nämlich gewiß ist, daß die Siebenzahl von Isais Söhnen sich nicht änderte, wenn etwa der Jüngste noch zu ihr hinzukam, und daß es diesem gelang, in sie eingeschlossen zu bleiben, auch wenn er über sie hinausging. – Ein andermal hatte ein Mann volle siebzig Söhne, denn er besaß viele Frauen. Ein Sohn einer dieser Mütter tötete alle seine Brüder, des Mannes siebzig Söhne, auf ein und demselben Stein. Nach unseren trockenen Begriffen kann er, da er ihr Bruder war, nur neunundsechzig getötet haben, richtiger sogar noch: nur achtundsechzig, denn ein anderer Bruder, ausdrücklich bei Namen genannt, Jotam, blieb zum Überfluß auch noch am Leben. Es ist hart, es hinzunehmen, aber hier tötete einer von siebzig alle siebzig und ließ außer sich selbst sogar noch einen anderen übrig, – ein starkes und lehrreiches Beispiel für die Gleichzeitigkeit von Eingeschlossensein und Außenstehen.
    Jaakob also, recht verstanden, war unter den siebzig Wandernden der Einundsiebzigste, – soweit diese Zahl überhaupt dem Tageslicht standhält. Sie war nüchterner Wahrheit sowohl niedriger als höher, – ein neuer Widerspruch, aber nicht anders ist es zu sehen und zu sagen. Jaakob, der Vater, war insofern der Siebzigste und nicht der Einundsiebzigste, als der männliche Teil des Stammes sich auf neunundsechzig Seelen belief. Er tat das jedoch mit Einschluß von Joseph, der in Ägypten war, und seinen beiden Söhnen, die dort sogar geboren waren. Da diese drei

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