Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Unwürdige, der Knecht der Herrin, der keine Lust zur Lust hatte, aber sie zu ihm, der Sünder und der Gewissenhafte. Man denkt wohl: mit fünfundsiebzig kann’s so schlimm nicht mehr sein mit der Hörigkeit und knechtischen Lust, aber da irrt man sich. Das hält aus bis zum letzten Seufzer. Ein wenig stumpfer mag ja der Speer geworden sein, aber daß je die Herrin den Knecht entließe, das gibt es garnicht. Tief beschämt beugte Juda sich über zum Segen, – aber nun seltsam doch! In dem Maße, wie es hoch herging über ihm und aus dem Horn das Öl der Verheißung auf seinen Scheitel floß, befestigte sich sein Gefühl, nahm zusehends Trost an und sprach mit wachsendem Stolze zu sich: »Nun denn, trotzdem offenbar. Es war am Ende so schlimm nicht, und für den Segen war’s sichtlich kein Hindernis, vielleicht wird das nicht so schwer genommen, – die Reinheit, nach der ich lechzte, war, wie sich zeigt, nicht unerläßlich zum Heil, gewiß gehörte alles dazu, die ganze Hölle, wer hätt’ es gedacht, auf mein Haupt träufelt’s, Gott gnade mir, aber ich bin’s!«
Es träufelte nicht, es strömte und brauste. Fast rückhaltlos verausgabte sich Jaakob bei Juda’s Segen, sodaß mehrere Brüder nachher nur Kurzes und Ungefähres mit matter Stimme zu hören bekamen.
»Du bist es, Jehuda! Der du die Hand am Nacken deiner Feinde hast, – deine Brüder sollen dich loben. Ja beugen sollen sich dir deines Vaters Söhne und aller Mütter Kinder in dir den Gesalbten preisen!« – Dann kam der Löwe. Eine ganze Weile gab’s nur den Löwen und gab gewaltige Löwenbilder. Eine Löwenbrut war Juda, aus dem Wurf einer Löwin, ein unverfälschter Leu. Vom Raube richtete der Reißende sich auf, er fauchte und donnerte. Auf seinen Wüstenberg zog er sich zurück, da lagerte er und reckte sich wie ein Mähnenkönig und wie einer grimmen Löwin Sohn. Wer wagte es, ihn aufzuscheuchen? Das wagte niemand! Verwunderlich war nur, wie der Vater die Söhne, die er segnen wollte, als reißende Räuber pries, da er doch denen, die er nicht segnen wollte, es so sehr verübelte, daß Geräte der Gewalt ihre Verwandten seien. Wie er sich selbst, aus purer Schwäche, in der Rolle des Recken gesehen hatte, mit Schwert und Bogen, so pries er nun seine Söhne, voran den geplagten Juda, aber zuletzt sogar noch Klein-Benjamin, als blutfrohes Raubgetier und als wilde Kämpen. Es ist merkwürdig: die Schwäche der Sanften und Geistigen ist die Schwäche fürs Heldische.
Und doch ging Jaakob beim Juda-Segen garnicht aufs Raub-Heldische aus. Der Held, auf den er abzielte und den er sich längst schon hervorgedacht, war nicht von der Art, an deren brüllende Pracht sich die Schwäche verliert, – Schilo war sein Name. Vom Löwen zu ihm war es weit; darum machte der Segnende einen Übergang: er fügte das Gesicht eines großen Königs ein. Der König saß auf seinem Stuhl, und der Herrscherstab lehnte zwischen seinen Füßen, der sollte von dort nicht weichen, noch von ihm genommen sein, bis daß »der Held« käme, bis daß Schilo erschiene. Für Juda, den König mit dem Befehlsgeber zwischen den Füßen, war dieser Verheißungsname ganz neu, – für die ganze Versammlung war er eine Überraschung, und erstaunt horchte sie auf. Nur eine von allen war’s, die ihn kannte und begierig auf ihn gewartet hatte. Unwillkürlich werfen wir einen Blick hinaus auf ihren Schattenriß, – hoch aufgerichtet stand sie, in dunklem Stolz, wie Jaakob den Samen des Weibes verkündigte. Von Juda sollte nicht die Gnade weichen, er sollte nicht sterben, sein Auge nicht auslaufen, ehe denn seine Größe übergroß würde, dadurch, daß er aus ihm käme, dem alle Völker anhangen würden, der Friedebringer, der Mann des Sternes.
Wie es herging über Juda’s beschämtem Haupt, das war über alles Erwarten. Seine Person – oder seine Stammesgestalt – vermischte sich, sei es mit Absicht oder nur aus Gedankenverwirrung, oder aus beidem, indem nämlich die Verwirrung absichtlich ausgenutzt wurde zu hochgehender Poesie, – sie vermischte sich und rann in einander in Schilo’s Gestalt, sodaß niemand wußte, ob von Juda die Rede war oder von dem Verheißenen bei den Gesichten der Segensfülle und der Begnadung, in denen sich Jaakob erging. Alles schwamm in Wein, – es wurde den Lauschenden rot vor den Augen vor Weingefunkel. Ein Land war das, dieses Königs Reich, ein Land solcher Art, daß einer sein Tier an den Weinstock band und an die Edelrebe sein
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