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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Jaakobs Bescheide an seine Söhne einmischten und nebst der Erhöhung eine gewisse menschliche Ungenauigkeit schufen. Das war Absicht und Schwäche und Absicht in der Schwäche. Schon bei Ruben war etwas vom Wassermann zu spüren gewesen. Juda, der jetzt an die Reihe kam, und bei dessen gewaltiger und entscheidender Segnung der Greis sich sehr verausgabte, sodaß er später einmal zwischenein Gott um Hilfe anrufen mußte, fürchtend, er werde nicht durchkommen und vor allem nicht mehr zu Joseph gelangen, – Juda also hatte schon immer der »Löwe« geheißen, aber die ihm gewidmete Sterberede arbeitete mit diesem Titel so unermüdlich und ließ den geplagten Jehuda so absichtlich in Löwengestalt erscheinen, daß niemand die ekliptische Anlehnung verkennen konnte. Bei Issakhar schimmerte viel vom Krebse durch, – das Sternbild der Eselchen, das in diesem Zeichen steht, wurde in kosmischen Zusammenhang mit seinem Alltagsnamen »der knochige Esel« gebracht. Bei Dan merkte jeder die Waage, des Rechtes und Richtens Gleichnis, wenn auch die stechende Hornnatter seine Zeichnung mitbestimmte; und Naphtali’s Hirsch- und Hindengestalt wechselte, deutlich für die Meisten, ins Widderhafte hinüber. Joseph selbst machte keine Ausnahme, im Gegenteil, die astrale Aufhöhung bewährte sich sogar doppelt bei ihm, Jungfrau und Stier wechselten bei seiner Kennzeichnung. Diejenige Benjamins endlich, als er daran kam, schien vom Skorpion her bestimmt, denn der gute Kleine wurde als reißender Wolf gefeiert, nur weil der Lupus dem Stachelschwanz südlich nahe steht.
    Hier wurde die Entpersönlichung durch den sternenmythischen Anstrich am allerdeutlichsten, die es den reisigen Zwillingen soviel leichter machte, ihren Bescheid mit Gemütsruhe hinzunehmen. Sie lebten in früher Zeit, aber auch wieder in später schon, die viel Erfahrung in mancher Hinsicht hatte, auch in der auf die nicht unbedingte Zuverlässigkeit der Sterbe-Hellsicht und Weissagung. Der Blick, den Scheidende ins Zukünftige tun, ist eindrucksvoll und ehrwürdig; man darf ihm viel Glauben schenken, aber nicht zuviel, denn ganz hat er sich nicht immer bewahrheitet, und es scheint, daß der schon außerirdische Zustand, der ihn erzeugt, zugleich doch auch als Fehlerquelle zu werten ist. Auch Jaakob beging feierliche Irrtümer – neben ausgezeichnet zutreffenden Dingen, die er erblickte. Aus Rubens Nachkommenschaft wurde wirklich nicht viel, und der Stamm Schimeon blieb immer anlehnungsbedürftig und verlor sich in Juda. Daß aber das Leviblut mit der Zeit zu den höchsten Ehren gelangen und das Dauer-Vorrecht des Priestertums gewinnen sollte, – wie wir, die wir zwar in der Geschichte, aber auch außer ihr sind, nun doch einmal wissen –, das blieb dem Scheideblick Jaakobs offenbar verhüllt. Seine Sterbe-Prophetie versagte ehrwürdig in diesem Punkt – und auch in anderen noch. Von Sebulun sagte er, er solle zum Gestade des Meeres hin wohnen und zum Gestade der Schiffe hin; an Sidon solle er grenzen. Das lag nahe, denn dieses Sohnes Vorliebe fürs Meer und den Pechgeruch war allbekannt. Sein Stammesgebiet aber reichte dereinst durchaus nicht ans Grüne, noch grenzte es je an Sidon. Es lag zwischen jenem und dem See Galiläa’s, getrennt von diesem durch Naphtali, vom Meere durch Ascher.
    Für uns sind solche Fehlblicke von hohem Wert. Denn gibt es nicht Klüglinge, die behaupten, die Segnungen Jaakobs seien nach Josua’s Zeiten verfaßt, und man habe »Weissagungen aus dem Ereignis« darin zu erblicken? Man kann nur die Achseln darüber zucken – nicht nur, weil wir ja an des Vaters Sterbebett zugegen sind und seine Worte mit eigenen Ohren hören, sondern auch, weil Wahrsprüche, die erst an der Hand des geschichtlich Vorliegenden ausgegeben werden, zurückdatierte Wahrsprüche, es sehr leicht haben, sich der Fehler zu enthalten. Der sicherste Beweis für die Echtheit einer Weissagung bleibt ihre Irrtümlichkeit. –
    Und so rief Jaakob denn Juda auf, – es war ein mächtiger Augenblick, und tiefe Stille herrschte sowohl draußen vorm Zelt wie bei uns drinnen. Es ist sehr selten, daß eine so vielköpfige Versammlung sich in so tiefe, reg- und atemlose Stille bannt. Der Uralte hob die bleiche Hand gegen den vierten Sohn, der, im voraus aufs Tiefste beschämt, das fünfundsiebzigjährige Haupt beugte, – den Finger hob er gegen ihn und wies auf ihn und sprach:
    »Juda, du bist’s!«
    Ja, er war’s, der Geplagte, der seinem Gefühl nach gänzlich

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