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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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einem Widderfell, im Hintergrunde auf seinem Bette, genau so weit bei Kräften, wie er’s noch bedurfte, die Wachsblässe seines Antlitzes leicht getönt vom farbigen Zwielicht und von der Glut des Kohlenbeckens in seiner Nähe. Sein Anblick war mild und groß. Eine weiße Binde, wie er sie zu tragen pflegte, wenn er opferte, war um seine Stirn geschlungen. Weißes Schläfenhaar krauste darunter seitlich dahin und ging in gleicher Breite in den die Brust ganz bedeckenden Patriarchenbart über, der unterm Kinn dicht und weiß, weiter unten grauer und schütterer war, und in dem der feine, geistige und etwas bittere Mund sich abzeichnete. Ohne daß er das Haupt gewandt hätte, waren seine zarten Augen, mit den Drüsenschwellungen darunter, spähend seitlich gedreht, sodaß viel gelbliches Weiß des Augapfels bloßgelegt war. Nach den eintretenden Söhnen gingen die Augen, den vollzähligen Zwölfen, denen sich schnell eine Gasse zur Lagerstatt öffnete. Damasek und die Pflegediener traten davon zurück; die überm Euphrat Gezeugten mit dem Kleinen, an dem in Abrahams Land seine Mutter gestorben, neigten sich davor auf ihre Stirnen und standen dann geschart um das Vaterhaupt. Vollkommene Stille war eingetreten, und aller Blicke waren auf Jaakobs blasse Lippen gerichtet.
    Sie öffneten sich mehrfach versuchsweise, bevor sie Worte bildeten, und mühsam-leise setzte seine Rede an. Später sprach er sich frei, und seine Stimme gewann vollen Klang, um erst ganz zuletzt, als er Benjamin segnete, wieder in Schwäche zu erlöschen.
    »Willkommen, Israel«, sprach er, »du Gürtel der Welt, Zone des Wandels, Feste des Himmels und Damm, in heiligen Bildern geordnet! Siehe, gehorsam kamst du zu Hauf und hast dich in völliger Zahl mutig geschart um das Bett meines Scheidens, daß ich dich beurteile nach der Wahrheit und dir weissage aus der Weisheit der letzten Stunde. Sei gelobt, Sohneskreis, für deine Willfährigkeit und gepriesen für deine Beherztheit! Gesegnet sei allzumal von der Hand des Sterbenden und gebenedeit in deiner Gänze. Gesegnet mit wohlgesparter Kraft und gebenedeit in Ewigkeit! Merke: was ich dir zu sagen habe, einem jeden für sich, nach der Reihe, das sage ich unterm Gesamtheitssegen.«
    Hier setzte seine Rede aus, und er bewegte eine Weile nur die Lippen, ohne Laut und für sich allein. Dann aber ermannte sich sein Gesicht, er bewegte die Stirnhaut, und der Schwäche drohend befestigten sich seine Brauen.
    »Re-uben!« kam es aufrufend von seinen Lippen.
    Der Herdenturm trat hervor auf gegürteten Säulenbeinen, ganz greis auf dem Kopf, mit geschabtem, rotem Gesicht, das greinend verzogen war, wie bei einem Knaben, der Schelte erwartet: die lidentzündlichen Augen blinzelten rasch unter den weißen Brauen, und die Mundwinkel waren so bitterlich stark nach unten gezogen, daß sich dicke Muskelwülste zu beiden Seiten bildeten. So kniete er hin an Bettes Bord und neigte sich über.
    »Ruben, mein größester Sohn«, hob Jaakob an, »du bist meine früheste Macht und meiner Mannheit Erstling, dein war das Vorrecht und ein mächtiger Vorzug, im Kreise warst du der Oberste, der Nächste zum Opfer und der Nächste zum Königstum. Es war ein Versehen. Ein Abgott zeigte mir’s an auf dem Felde im Traum, ein beizendes Tier der Wüste, ein Hundsknabe mit schönem Bein, auf dem Steine sitzend, gezeugt aus Versehen, gezeugt mit der Unrechten in blinder Nacht, der alles gleich ist, und die von Liebesunterscheidung nichts weiß. So zeugte ich dich, mein Oberster, in wehender Nacht mit der Falschen, der Tüchtigen, im Wahne zeugte ich dich und gab ihr die Blüte, denn es war Vertauschung, vertauscht war der Schleier, und mir zeigte der Tag, daß ich nur gezeugt hatte, wo ich zu lieben wähnte, – da kehrte sich Herz und Magen mir um, und ich verzweifelte an meiner Seele.«
    Man verstand eine Weile nicht mehr, was er sagte; nur wieder mit lautlosen Lippen sprach er längere Zeit vor sich hin. Dann kehrte die Stimme zurück, stärker als vorher, und zeitweise redete er nicht mehr zu Ruben, sondern von ihm, über ihn, in der dritten Person.
    »Er schoß dahin wie Wasser«, sagte er. »Wie siedend Wasser brodelte er aus dem Topf. Er soll nicht der Oberste sein und nicht des Hauses Tragepflock, er soll keinen Vorzug haben. Auf seines Vaters Lager ist er gestiegen und hat mein Bette besudelt mit seinem Aufsteigen. Seines Vaters Scham hat er entblößt und belacht, mit der Sichel ist er dem Vater genaht und hat starken

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