Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
Vorstellung für Josef. Aber der Kaiser war mild gewesen, er überließ ihm den Toten, er hatte ihn sogar für ihn geschmückt und mit Wohlgerüchen angefüllt, der milde, der höchst gütige Kaiser. Nein, hier ist nur einer, gegen den aller Haß, aller Abscheu sich kehren muß, das ist er selber, Josef Ben Matthias, Flavius Josephus, der Narr, der Prahler, der alt, aber niemals gescheit geworden ist und der seinen Sohn auf den Weg ins Verderben gestoßen hat. Viel tiefer als damals beim Tod des SimeonJaniki ging jetzt an der Leiche des Matthias Josefs innerer Zusammenbruch. Diesmal gab es nichts zu drehen und zu deuteln, diesmal ruhten alle Ursachen in ihm selber. Wenn er sich nicht aus schierem, geistigem Hochmut dazu bekannt hätte, aus Davids Geschlecht zu stammen, dann lebte Matthias noch. Wenn er ihn nicht aus purem, dummem Vaterstolz zurückgehalten hätte, mit Mara nach Judäa zu gehen, dann lebte Matthias noch. Wenn er ihn nicht aus reiner, äußerer Eitelkeit in den Dienst der Lucia geschickt hätte, dann lebte Matthias noch. Es waren sein Ehrgeiz, seine Eitelkeit, die den Matthias umgebracht haben.
Ungeheuerlich, närrisch vermessen hat er sich. Jenen Cäsarion, den der große Cäsar aus seinem Sohne nicht hatte machen können, den hat er aus seinem Matthias machen wollen, kleiner Affe eines großen Mannes, der er war. Alles, was er je in seinem Leben unternommen, hat er aus Eitelkeit getan. Aus Eitelkeit ist er nach Rom gegangen als junger Mann, aus Eitelkeit hat er den Propheten gespielt und dem Vespasian sein Kaisertum prophezeit, aus Eitelkeit hat er sich zum Geschichtsschreiber der Flavier gemacht, aus geistigem Hochmut sich als Davidssproß bekannt. Aus Eitelkeit hat er die verlogene, vornehm objektive Universalgeschichte geschrieben, aus Eitelkeit die effektvoll glühende Verteidigungsschrift gegen Apion. Und jetzt hat er aus Eitelkeit seinen Sohn Matthias umgebracht.
Wie Jakob den Knaben Josef, so hat er diesen Knaben Matthias geliebt, mit närrischer Vaterliebe. Und wie Jakob dem Knaben Josef den glänzenden Leibrock geschenkt und so den Neid der Brüder gegen ihn wachgerufen hat, so hat er seinen Matthias eingehüllt in sträflichen Glanz. Und wie dem Jakob gemeldet wurde: »Zerrissen, zerrissen ist dein Sohn Josef«, so hat ihm der Feind mitgeteilt: »Umgekommen ist dein lieber Sohn.« An dem Erzvater Jakob indes war kein Fehler außer seiner närrischen Liebe, er aber, Josef Ben Matthias, ist über und über bedreckt mit Sünde. Und wenn jener Knabe Josef noch am Leben war, wenn auch verlassen und in einem tiefen Brunnen, sein Matthias liegt da, tot, wächsern und geschminkt, der Kehlkopf sticht heraus, kein Lebenshauch hebt und senkt ihn, und keine Hoffnung ist, daß er gerettet werde.
Die Nacht verging, eine kurze Sommernacht, und mit dem Morgen kamen zahllose den toten Flavius Matthias noch einmal begrüßen. Man wußte, daß der Kaiser persönlichen Anteil nahm an dem Unglücksfall, der den Günstling seiner Lucia weggerafft hatte, romantische Geschichten waren im Umlauf über sein Leben und sein Ende, man sprach viel von der Schönheit und dem Glanz des Jünglings. So schritt ein endloser Zug von Menschen durch den Raum mit den umgestürzten Möbeln, in dem der tote Matthias lag. Teilnehmende, Neugierige, Ehrgeizige. Sie kamen, um keine Gelegenheit zu versäumen, sich dem Kaiser gefällig zu erweisen, sie kamen, um die Leiche zu sehen, um Trauer zu bekunden, um Beileid auszusprechen. Ganz Rom defilierte an der Leiche vorbei. Josef aber hielt sich fern, eingesperrt im innersten Raum seines Hauses, auf der Erde hockend, bloßfüßig, mit wildwachsendem Haar und zerrissenem Kleid.
Es kamen Marull und Claudius Regin, es kam der uralte Cajus Barzaarone, und er dachte, wie bald er so liegen werde, es kam der Senator Messalin, und er stand lange Zeit mit höflich teilnahmsvollem Gesicht bei der Leiche, und niemand konnte lesen, was in ihm war, es kam auch der Pfauenwärter Amphion, und er heulte laut heraus, und es kam das Mädchen Caecilia. Auch sie ließ sich gehen, sie weinte über ihr ganzes, helles, glattes Gesicht, sie bereute, daß sie den Matthias so albern getriezt und daß sie sich gewehrt und alles erst auf seine Rückkehr verschoben hatte.
Es kamen auch die beiden Prinzen, Constans und Petron oder vielmehr Vespasian und Domitian, wie sie jetzt hießen. Sie standen an der Leiche, ernst, mit ihrem Hofmeister Quintilian. Man hatte ihnen Platz gemacht; doch hinter
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