Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
Sorge vor dem Aufstand. Er schüttet sich ganz vor ihr aus, ja eigentlich wird ihm erst, während er mit ihr spricht, ganz klar, was alles die neue Gefahr Judäas in ihm heraufwühlt. Er hat ein heftiges Leben hinter sich, Gipfel und Abgründe, er hat geglaubt, jetzt habe er Frieden und dürfe sich versenken in seine Bücher und es beginne ihm ein ruhiger Abend. Statt dessen rollen neue Prüfungen und Bitternisse an. Der Aufstand in Judäa, so sinnlos er ist, wird losbrechen, Josef wird dagegen kämpfen, und er wird von neuem Schimpf und Schmach auf sich nehmen müssen, weil er sein Gefühl niederdrückt um der Vernunft willen.
Mara hat ihn dieses böse Lied schon früher singen hören. Aber wenn sie ihm früher bedingungslos recht gab, denn er war weise und sie unweise, so lehnte sich jetzt ihr Herz gegen ihn auf. Warum, wenn er spürte wie die andern, handelte er anders? Wäre es nicht besser für sie alle, er wäre weniger weise? Er war ein sehr großer Mann, dieser Doktor und Herr Josef, ihr Mann, und sie war stolz auf ihn, doch manchmal und so auch jetzt dachte sie, wieviel schöner es wäre, wenn er weniger groß wäre. »Deine Bedrückung liegt auf mir wie eine eigene«, sagte sie, und dann, und ihr Rücken wurde rund und schlaff, fügte sie noch hinzu, leise: »Land Israel, mein armes Land Israel.«
»Land Israel«, sagte sie, aramäisch. Josef verstand sie, und Josef beneidete sie. Er hatte sein Weltbürgertum, aber er war zerspalten. Sie indes war ganz eins. Sie war verwachsen mit dem Boden Judäas, sie gehörte zu Judäa, unter den Himmel Judäas und zu seinem Volk, und Josef wußte, wenn sie ihn mehrmals in ihrer stillen Art aufgefordert hatte, dorthin zurückzukehren, so hatte sie recht gehabt, und er hatte unrecht, es ihr zu verweigern.
Er dachte an die vielen kunstvollen Argumente, die er konstruiert hatte, um seine Weigerung zu begründen. In Judäa, hatte er erklärt, werde ihm die Nähe der Dinge den Blick trüben, er werde sich fortreißen lassen von der Leidenschaft der andern, er werde dort an seinem Werk nicht mit der Sachlichkeit arbeiten können, welche die Grundbedingung des Gelingens sei. Allein sie beide wußten, daß das eine Ausflucht war. Alle die Gründe, die ihn angeblich in Rom hielten, waren Ausflüchte. Er hätte sein Buch in Judäa eher besser schreiben können als hier, es wäre in einem guten Sinn jüdischer geworden. Und vielleicht hatte sie auch damit recht, daß es für die Kinder besser wäre, auf einem Landgut in Judäa unter freiem Himmel heranzuwachsen als hier in den engen Straßen der Stadt Rom. Dies letzte freilich war sehr zweifelhaft; denn wenn sein kleiner Matthias das werden sollte, was Josef plante, dann mußte er in Rom bleiben.
Auf alle Fälle trotzte er und machte sich taub gegen die stillen Bitten Maras. Er hatte sich für ein zurückgezogenes Leben entschieden, aber er wollte nicht darauf verzichten, das Brausen der Stadt Rom rings um sich zu wissen. In der Provinz zu leben hätte ihn beengt; in Rom, auch wenn er sich in sein Zimmer einschloß, tröstete ihn der Gedanke, er brauche nur wenige hundert Schritte zu tun, dann stehe er auf dem Capitol, dort, wo das Herz der Welt schlägt.
In seinem Innersten aber verspürte er Unbehagen, ja ein ganz leises Gefühl der Schuld, daß er Mara hier in Rom hielt. »Armes Land Israel«, nahm er Maras Seufzer auf, und: »Es wird ein Winter voller Sorgen werden«, schloß er.
Beim Abendessen, vor seiner Frau Dorion und vor seinem Stiefsohn Paulus, ließ Annius Bassus, Domitians Kriegsminister, sich gehen. Vor diesen beiden konnte er reden, und daß des Paulus Lehrer anwesend war, der Grieche Phineas, störte ihn nicht. Phineas war Freigelassener, er zählte nicht. Ganz ungetrübt freilich waren bei aller Vertrautheit seine Beziehungen auch zu Frau und Stiefsohn nicht. Manchmal hatte er das Gefühl, Dorion halte ihn trotz seiner ungewöhnlichen Karriere für unbedeutend und sehne sich trotz ihres Hasses zurück nach ihrem Flavius Josephus, diesem widerwärtigen jüdischen Intellektuellen. Sicher war, daß sie sich aus dem Jungen, den sie ihm, dem Annius, geboren hatte, aus dem kleinen Junius, nicht viel machte, während sie Paulus, den Sohn ihres Josephus, bewunderte und verwöhnte. Übrigens konnte er selber sich nicht wehren gegen die Anmut, die von Paulus ausging.
Ja, er liebte Dorion, und er liebte Paulus. Und wiewohl ihre Neigung für ihn geringer sein mochte als die seine für sie, so
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