Joyland
Leichenbestatteranzug unter einem Joyland-Sonnenschirm auf einer Bank und aß – mit Stäbchen – sein Mittagessen. Im ersten Moment sah er mich nicht; seine Aufmerksamkeit war auf eine Horde Kinder gerichtet, die von zwei Grünschnäbeln in einer Zweierreihe zum Howdy House geführt wurden. Kleinere Kinder konnten dort (wie ich später herausfand) für maximal zwei Stunden abgegeben werden, während ihre Eltern mit den älteren Geschwistern zu den größeren Fahrgeschäften gingen oder im Rock Lobster zu Mittag aßen, dem exklusiven Restaurant in Joyland.
Außerdem fand ich später heraus, dass nur Kinder im Alter von drei bis sechs im Howdy House aufgenommen wurden. Einige der Kinder, die ich beobachten konnte, wirkten reichlich abgeklärt, wahrscheinlich weil sie Veteranen verschiedener Kindertagesstätten waren, da beide Eltern arbeiteten. Andere dagegen wurden damit nicht so gut fertig. Möglicherweise hatten sie es mit Fassung getragen, als Mami oder Papi ihnen erklärte, sie kämen in ein oder zwei Stunden wieder zurück (als hätten Vierjährige irgendeine Vorstellung davon, wie lange eine Stunde ist), aber jetzt waren sie auf sich allein gestellt, an einem lauten, chaotischen Ort voller fremder Menschen, und von Mami und Papi keine Spur. Nicht wenige der Kinder weinten. Da stand ich nun in meinem dicken Howie-Kostüm, schaute durch das Gittergewebe, das mir als Augen diente, und schwitzte wie ein Schwein. Und wurde Zeuge einer typisch amerikanischen Form von Kindesmisshandlung. Wie konnte man nur auf die Idee kommen, sein Kind – ein Kleinkind, um Himmels willen – in einen Vergnügungspark mitzunehmen, nur um es dann völlig fremden Babysittern zu überlassen, wenn auch nur für kurze Zeit?
Den diensttuenden Grünschnäbeln entging nicht, dass immer mehr Kinder in Tränen ausbrachen (panische Angst ist eine Kinderkrankheit unter vielen, wie die Masern), aber ihnen war anzusehen, dass sie keine Ahnung hatten, was sie dagegen tun sollten. Woher auch? Es war ihr erster Tag, und sie waren ihrem Schicksal genauso unvorbereitet überlassen worden wie ich, als Lane Hardy davonspaziert war und ich mich plötzlich allein um das Riesenrad kümmern sollte. Aber wenigstens dürfen Kinder unter acht Jahren nur in Begleitung Erwachsener aufs Riesenrad, dachte ich bei mir. Während die kleinen Blagen hier völlig allein sind.
Ich wusste genauso wenig, was ich tun sollte, aber mir war klar, dass ich mir etwas einfallen lassen musste. Also marschierte ich, die Vorderpfoten erhoben, auf die Zweierreihe Kinder zu und wedelte dabei wie verrückt mit dem Schwanz (ich konnte ihn zwar nicht sehen, aber dafür umso deutlicher spüren). Und gerade als die ersten Kinder mich bemerkten und mit dem Finger auf mich deuteten, hatte ich eine Eingebung. Die Musik, was sonst! An der Kreuzung Jellybean Road und Candy Cane Avenue blieb ich stehen – direkt unter den plärrenden Lautsprechern. Mit meinen knapp zwei Metern von den Pfoten bis zu den Flauschohren war ich bestimmt ein beeindruckender Anblick. Ich verneigte mich vor den Kindern, die mich alle mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen anglotzten. Und dann fing ich an, den Hokey Pokey zu tanzen.
Der Kummer darüber, von den Eltern im Stich gelassen worden zu sein, war, wenigstens vorübergehend, vergessen. Sie lachten, manche mit tränennassen Wangen. Noch wagten sie sich nicht an mich heran, jedenfalls nicht während ich so unbeholfen herumhüpfte, aber sie drängten sich doch auf mich zu. Die Angst wich blankem Staunen. Mit Howie waren sie alle vertraut; wer in den Carolinas aufwuchs, kannte ihn aus seiner nachmittäglichen Fernsehsendung, und selbst die Besucher aus so weit entfernten und exotischen Städten wie St. Louis und Omaha hatten Prospekte in Händen gehalten oder am Samstagmorgen die Werbung zwischen den Zeichentrickfilmen gesehen. Sie wussten, dass Howie zwar ein großer Hund war, aber er war auch ein braver Hund. Er würde nie beißen. Er war ihr Freund.
Ich streckte den linken Fuß vor und zog ihn wieder an; ich streckte den linken Fuß vor und wackelte damit. Ich tanzte den Hokey Pokey und drehte mich im Kreis, denn darauf kommt es – wie fast alle kleinen Kinder in Amerika wissen – an. Ich vergaß, dass mir heiß war und ich mich unwohl fühlte. Ich dachte nicht mehr daran, dass mir meine Unterhose in der Arschritze steckte. Später würde ich granatenmäßige Kopfschmerzen bekommen, aber in dem Moment ging es mir gut, wenn nicht sogar großartig.
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