Joyland
buchstäblich wahr.
»Sie werden das Fell diesen Sommer wahrscheinlich noch häufiger tragen. Die meisten jungen Leute begreifen das als Last oder sogar als Strafe. Ich glaube nicht, dass Sie das so sehen werden. Habe ich recht?«
Er hatte recht. In den Jahren seither habe ich die unterschiedlichsten Sachen gemacht, um Geld zu verdienen, und mein derzeitiger Redakteursjob – wahrscheinlich mein letzter, bevor der Ruhestand mich in die Klauen kriegt – ist großartig, aber ich war noch nie so sonderbar glücklich, so völlig am rechten Ort wie damals mit einundzwanzig, als ich das Fell trug und an einem heißen Junitag den Hokey Pokey tanzte.
Schiere Spontaneität, Schätzchen.
*
Tom und Erin und ich sind nach jenem Sommer Freunde geblieben, und ich bin heute noch mit Erin befreundet, auch wenn sich das inzwischen auf sporadische E-Mails, Facebook und hin und wieder ein gemeinsames Mittag essen in New York beschränkt. Ihren zweiten Ehemann habe ich nie kennengelernt. Sie hat mir versichert, er sei ein netter Kerl, und ich glaube ihr. Warum auch nicht? Nachdem sie achtzehn Jahre lang mit dem nettesten Kerl der Welt verheiratet war, wird sie sich wohl kaum irgendeine Nulpe angelacht haben.
Im Frühjahr 1992 wurde bei Tom ein Gehirntumor diagnostiziert. Sechs Monate später war er tot. Nachdem er mich angerufen und mir erklärt hatte, dass er krank sei (wobei die Abrissbirne, die in seinem Kopf hin- und herschwang, sein Plappertempo bereits ziemlich bremste), war ich bestürzt und deprimiert wie wohl jeder, der erfährt, dass ein Mann in der Blüte seiner Jahre sich rasant der Ziellinie nähert. Da fragt man sich automatisch, wie so etwas möglich ist. Hatte Tom etwa nicht verdient, noch ein paar tolle Dinge zu erleben – ein paar Enkel zum Beispiel oder vielleicht den Urlaub auf Maui, von dem er immer träumte?
Während meiner Zeit in Joyland hab ich einmal mitbekommen, wie Paps Allen davon sprach, verbrannte Erde zu hinterlassen. Im Jargon heißt das, einen der Tölpel bei einem vorgeblich ehrlichen Spiel unverhohlen übers Ohr zu hauen. Als Tom mich anrief und mir die Hiobsbotschaft überbrachte, musste ich zum ersten Mal seit Jahren wieder an diese Formulierung denken.
Der Verstand schützt sich jedoch, solange er kann. Nachdem der erste Schock nachgelassen hat, denkt man vielleicht: Okay, ist zwar ziemlich schlimm, aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, schließlich besteht immer noch die Möglichkeit, dass sich das Blatt wendet. Fünfundneunzig Prozent aller Leute, denen das widerfährt, mögen zwar sterben, aber es gibt ja noch die glücklichen fünf Prozent. Außerdem stellen Ärzte die ganze Zeit falsche Diagnosen. Und wenn nichts anderes mehr hilft, können wir immer noch auf ein Wunder hoffen.
All das denkt man, und dann klingelt wieder das Telefon. Die Frau, die einen anruft, war einmal ein wunderschönes Mädchen, das in einem flotten grünen Kleidchen und mit einem albernen Sherwood-Forest-Käppi in Joyland herumrannte, in der Hand eine große alte Pressekamera, und die Conies, die sie ansprach, sagten fast nie nein. Wie konnten sie auch zu diesen feuerroten Haaren und diesem erwartungsvollen Lächeln nein sagen? Wie konnte irgendjemand zu Erin Cook nein sagen?
Tja, Gott hat nein gesagt. Gott hat verbrannte Erde hinterlassen, und Erin war die Leidtragende. Als ich an jenem wunderschönen Oktobernachmittag um halb sechs in Westchester den Hörer abnahm, war aus dem Mädchen eine Frau geworden, deren von Tränen erstickte Stimme so alt und müde klang wie der Tod. »Tom ist heute Nachmittag um zwei gestorben. Es ist alles sehr friedlich verlaufen. Er konnte nicht reden, war aber bei Bewusstsein. Er … Dev, er hat meine Hand gedrückt, als ich Lebewohl gesagt habe.«
»Hätte ich doch nur bei euch sein können«, sagte ich.
»Ja.« Ihre Stimme erbebte und wurde dann wieder fest. »Ja, das wäre schön gewesen.«
Man denkt: Okay, ich hab's begriffen, ich bin aufs Schlimmste vorbereitet, aber ein klein wenig Hoffnung hat man sich trotzdem noch gemacht, und genau das macht einen kaputt. Genau das bringt einen um.
Ich redete mit ihr, ich sagte ihr, wie sehr ich sie liebte und wie sehr ich Tom geliebt hätte, und ja, ich würde zur Beerdigung kommen, und wenn es irgendetwas gebe, was ich bis dahin tun könne, solle sie unbedingt anrufen. Tag und Nacht. Dann legte ich auf, ließ den Kopf hängen und flennte gottserbärmlich.
Das Ende meiner ersten Liebe lässt sich mit dem Tod eines
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