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Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gewesen. »Mach Dampf, Jonesy. Heute gibt's viel zu tun.«
    Ich machte Dampf, aber am Spin, das groß und stumm dastand und auf die ersten Besucher wartete, traf ich niemand an.
    »Hier drüben«, rief eine Frau. Ich drehte mich um und sah Rozzie Gold vor ihrer mit Sternen übersäten Wahrsagerbude stehen – sie hatte sich bereits aufgetakelt und trug eines ihrer durchscheinenden Madame-Fortuna-Kostüme. Übers Haar hatte sie sich ein grellblaues Kopftuch geknotet, und die Zipfel hingen ihr auf dem Rücken fast bis zum Gürtel hinunter. Lane stand neben ihr, und auch er trug schon seine volle Montur: abgewetzte Röhrenjeans und ein hautenges ärmelloses T-Shirt, das seine prallen Muckis zur Geltung brachte. Die Melone hatte er wie ein Ganove schräg aufgesetzt. Wenn man ihn so sah, konnte man meinen, er hätte kein bisschen Grips im Kopf, dabei hatte er davon mehr als genug.
    Beide waren jahrmarktsmäßig herausgeputzt, und beide stellten eine Miene zur Schau, die nichts Gutes ahnen ließ. In Gedanken ging ich schnell die letzten paar Tage durch, ob ich vielleicht irgendetwas angestellt hatte, was ihre schlechte Laune erklären mochte. Möglicherweise war Lane angewiesen worden, mich zu feuern … aber mitten im Sommer? Und war das nicht Fred Deans oder Brenda Raffertys Job? Und was hatte Rozzie damit zu tun?
    »Wer ist gestorben?«, fragte ich.
    »Solange nur du's nicht bist«, sagte Rozzie. Sie war bereits in ihre Rolle geschlüpft und klang komisch: halb nach Brooklyn, halb nach den Karpaten.
    »Hä?«
    »Komm, Jonesy, gehen wir ein Stück zusammen«, sagte Lane, worauf die beiden die Hauptstraße entlangschlenderten, die anderthalb Stunden vor dem Frühportal weitgehend verlassen dalag, mit Ausnahme von ein paar Kollegen aus der Hausmeisterei – alles Hilfskräfte, und wahrscheinlich hatte kein Einziger von ihnen eine Greencard –, die bei den Imbissbuden sauber machten; eine Arbeit, die eigentlich am Abend zuvor hätte erledigt werden sollen. Als ich Lane und Rozzie einholte, machten sie Platz für mich, sodass ich zwischen ihnen gehen konnte. Ich kam mir vor wie ein Ganove, der von zwei Cops in den Knast eskortiert wurde.
    »Was ist denn los?«
    »Das wirst du gleich sehen«, sagte Rozzie/Fortuna unheilvoll, und sie sollte recht behalten. Neben dem Horror House – die beiden Gebäude waren sogar miteinander verbunden – befand sich Mysterio's Mirror Mansion. Neben der Kassenbude hing ein normaler Spiegel mit einem Schild darüber, auf dem DAMIT IHR WISST, WIE IHR WIRKLICH AUSSEHT stand. Lane nahm mich bei einem Arm, Rozzie beim anderen. Jetzt kam ich mir endgültig wie ein Verbrecher vor, der gerade verhaftet wurde. Sie stellten mich vor den Spiegel.
    »Was siehst du da?«, fragte Lane.
    »Mich«, sagte ich, und weil das offenbar nicht die Antwort war, die sie erwarteten, fügte ich hinzu: »Ich muss mir die Haare schneiden lassen.«
    »Schau dir deine Klamotten an, Dummerchen«, sagte Rozzie, wobei sie es mit rollendem R wie Dimmerchen aussprach.
    Ich schaute mir meine Klamotten an. Über den gelben Arbeitsschuhen trug ich Jeans (aus deren Gesäßtasche die empfohlenen Wildlederhandschuhe raushingen), und über den Jeans ein blaues Arbeitshemd, das bereits verblichen, aber annehmbar sauber war. Auf meinem Kopf saß ein bewundernswert ramponierter Howie Dogtop, der mir den letzten Schliff gab.
    »Was ist damit?«, fragte ich. Irgendwie wurde ich allmählich sauer.
    »Findest du nicht, dass sie etwas an dir runterhängen?«, sagte Lane. »Vor Kurzem war das noch anders. Wie viel hast du abgenommen?«
    »Himmel, keine Ahnung. Vielleicht sollten wir Fat Wally einen Besuch abstatten.« Fat Wally betrieb die Bude, wo man sein Gewicht raten konnte.
    »Das ist nicht komisch«, sagte Fortuna. »Du kannst bei der Hitze nicht den halben Tag in dem verdammten Hundekostüm rumrennen, nur zwei Salztabletten schlucken und dann so tun, als wär das eine ordentliche Mahlzeit. Ich verstehe ja, dass du deiner verlorenen Liebe nachtrauerst, aber heiliger Strohsack, du musst trotzdem etwas essen!«
    »Wer hat Ihnen das verraten? Tom?« Nein, das passte nicht zu ihm. »Erin. Das geht Sie überhaupt nichts …«
    »Mir hat niemand etwas verraten«, fiel mir Madame Fortuna ins Wort. »Ich sehe, was ich sehe.«
    »Kommen Sie mir jetzt nicht mit Ihrer Hellseherei! Dass Sie sich in meine Angelegenheiten einmischen…«
    Dieses Mal war es die echte Rozzie, die mich unterbrach. »Ich rede hier nicht vom zweiten Gesicht, Jungchen.

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