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Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sah mich mit grimmiger Miene an und lachte dann über mein erstauntes Gesicht. »Rozzie Gold ist vielleicht nur eine jüdische Mutter und Großmutter, aber Madame Fortuna hat ihre Augen überall.«
    Genau wie meine Vermieterin; später fand ich nämlich heraus, dass Rozzie und Mrs. Shoplaw eng befreundet waren – an einem der seltenen freien Tage von Madame Fortuna habe ich sie in Heaven's Bay gemeinsam zu Mittag essen sehen. Einmal pro Woche staubsaugte Mrs. Shoplaw in meinem Zimmer und wischte Staub; bestimmt waren ihr dabei meine Platten aufgefallen. Was das Übrige betrifft – die berüchtigten Selbstmordgedanken, die mich hin und wieder überfielen? Eine Frau, die den größten Teil ihres Lebens damit zugebracht hatte, Menschen zu beobachten und nach Anhaltspunkten zu suchen, was sie bewegte (im Jargon wie beim Profipoker wurde dergleichen »Tell« genannt), mochte durchaus in der Lage sein zu erraten, dass ein sensibler junger Mann, den seine Freundin gerade in die Wüste geschickt hatte, in Erwägung zog, mit Tabletten, einem Strang oder gefährlichen Stromschnellen nähere Bekanntschaft zu machen.
    »Ich werde essen«, versprach ich ihr. Vor dem Frühportal musste ich noch tausend Dinge erledigen, aber in erster Linie wollte ich von hier verschwinden, bevor sie noch etwas völlig Ungeheuerliches sagte wie: Ihr Nahme ihst Vendy, und wenn duuu onaniehrst, denkst duuu noch ihmer an sieee.
    »Und trink ein großes Glas Milch, bevor du ins Bett gehst.« Sie hob einen mahnenden Finger. »Keinen Kaffee – Milch. Dann schläfst du besser.«
    »Ich kann's probieren.«
    Sie verwandelte sich wieder in Rozzie. »An dem Tag, als wir uns das erste Mal begegnet sind, hast du mich gefragt, ob ich eine schöne Frau mit dunklen Haaren in deiner Zukunft sehe. Erinnerst du dich?«
    »Ja.«
    »Was habe ich gesagt?«
    »Dass sie meiner Vergangenheit angehört.«
    Rozzie nickte gebieterisch. »So ist es. Und wenn du sie anrufst und sie um eine zweite Chance bittest – und das wirst du, glaube mir –, dann zeig Rückgrat. Sonst verlierst du noch die Achtung vor dir selbst. Und denk daran: Ferngespräche sind teuer.«
    Erzähl mir was, was ich nicht weiß, dachte ich bei mir. »Hören Sie, Roz, ich muss wirklich los. Die Arbeit wartet nicht.«
    »Ja, wir haben alle viel zu tun. Aber bevor du gehst, Jonesy – hast du den kleinen Jungen schon getroffen? Den mit dem Hund? Oder das kleine Mädchen mit dem roten Käppi und der Puppe? Auch das habe ich dir vorausgesagt.«
    »Roz, in den letzten Wochen hab ich Millionen von…«
    »Also nicht. Okay. Warten wir ab.« Sie schob die Unterlippe vor und atmete hörbar aus; die Fransen, die unter ihrem Kopftuch hervorlugten, gerieten in Aufruhr. Dann packte sie mich am Handgelenk. »Ich sehe große Gefahr für dich voraus, Jonesy. Großes Leid und große Gefahr.«
    Einen Moment lang dachte ich, sie würde gleich etwas sagen wie: Hüte dich vor dem fremden Mann! Er fährt auf einem Einrad! Stattdessen ließ sie mich los und deutete auf das Horror House. »Welches Team ist für dieses widerliche Loch zuständig? Nicht deins, oder?«
    »Nein, Team Doberman.« Die Dobies waren auch für die Gebäude rechts und links davon verantwortlich: Mysterio's Minor Mansion und das Wachsfigurenkabinett. Zusammengenommen bildeten sie den halbherzigen Versuch, in Joyland die Gruselshows der traditionellen Jahrmärkte wiederaufleben zu lassen.
    »Gut. Halt dich von dort fern. Da spukt es, und für einen Jungen mit finsteren Gedanken ist ein Besuch in einem Spukhaus genauso gesund wie Mundwasser mit Arsen drin. Kapish?«
    »Yeah.« Ich schaute auf meine Armbanduhr.
    Sie verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und trat einen Schritt zurück. »Halt nach den Kindern Ausschau, die ich dir beschrieben habe. Und pass auf, was du tust, Jungchen. Auf dir ruht ein Schatten.«
    *
    Lane und Rozzie haben mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt, das gebe ich zu. Ich hörte zwar nicht auf, mir meine Doors-Platten reinzuziehen – jedenfalls nicht sofort –, aber ich zwang mich, mehr zu essen, und schlürfte drei Milchshakes am Tag. Ich konnte spüren, wie frische Energie in meinen Körper hineinströmte, als hätte jemand einen Hahn aufgedreht, und am Nachmittag des Vierten Julis war ich dafür äußerst dankbar. Joyland war knallvoll, und ich durfte mir das Fell ganze zehn Mal überziehen, ein absoluter Rekord.
    Fred Dean kam höchstpersönlich vorbei und brachte mir den Terminplan, und außerdem drückte er mir eine kurze

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