Joyland
Notiz vom alten Mr. Easterbrook in die Hand. Wenn es Ihnen zu viel wird, dann hören Sie sofort auf und sagen Ihrem Teamleiter, er soll einen Ersatzmann suchen.
»Ich komm schon klar«, sagte ich.
»Gut möglich, aber halten Sie Paps diese Mitteilung trotzdem unter die Nase.«
»Okay.«
»Brad mag Sie, Jonesy. Das kommt nicht oft vor. Die Grünschnäbel nimmt er sonst nur wahr, wenn sie Mist bauen.«
Ich mochte ihn auch, aber das sagte ich Fred nicht. Sonst hätte er nur gedacht, ich wollte dem Chef in den Arsch kriechen.
*
Alle meine Schichten am Unabhängigkeitstag sollten zehn Minuten dauern, was ganz okay war, auch wenn meistens eine Viertelstunde daraus wurde. Aber die Hitze war erdrückend. Da sollen wir fünfunddreißig Grad kriegen, hatte Rozzie gesagt, doch schon um die Mittagszeit waren es knapp vierzig, wenn man dem Thermometer glauben konnte, das am Wohnwagen der Betriebsleitung hing. Zu meinem Glück hatte Dottie Lassen den zweiten übergroßen Howie-Anzug geflickt, sodass ich die beiden wechselweise tragen konnte. Wenn ich den einen anhatte, krempelte Dottie den anderen auf links und hängte ihn vor drei Ventilatoren, damit das schweißnasse Innengewebe trocknete.
Wenigstens konnte ich das Fell allein ausziehen, denn da gab es einen Trick: Howies rechte Pfote war in Wirklichkeit ein Handschuh, und wenn man wusste, wie, war es ein Leichtes, den Reißverschluss bis zum Hals runterzuziehen. Und hatte man den Kopf erst einmal abgesetzt, war der Rest ein Kinderspiel. Sehr vorteilhaft, denn so konnte ich mich hinter einem Vorhang selbst umziehen und musste mich den Näherinnen nicht mehr in meiner verschwitzten, halb durchsichtigen Unterhose zeigen.
Im weiteren Verlauf des Nachmittags wurde ich von allen anderen Pflichten freigestellt. Ich zog auf den mit Wimpeln geschmückten Straßen des Kinderdorfs meine Tanznummer ab und verschwand dann wieder im Untergrund von Joyland, wo ich mich eine Weile auf das schäbige alte Sofa in der Abdeckerei fläzte und die kühle, klimatisierte Luft in mich einsog. Wenn ich mich einigermaßen erholt hatte, stapfte ich durch die Gassen zur Kostümschneiderei und zog mich um. Zwischen den Schichten schlürfte ich literweise Wasser und ganze Flaschen ungesüßten Eistee. Kaum zu glauben, dass mir das Ganze Spaß machte, aber dem war so. An diesem Tag waren sogar die verwöhntesten Gören von mir begeistert.
Also: Es ist nachmittags um Viertel vor vier. Ich hüpfe die Joyland Avenue entlang – unsere Hauptstraße –, während aus den Lautsprechern Daddy Dewdrops »Chick-A-Boom, Chick-A-Boom, Don'tcha Just Love It« dröhnt. Ich knuddele Kinder und drücke Erwachsenen Gutscheine für den August in die Hand, weil der Zulauf in Joyland gegen Ende des Sommers immer nachlässt. Ich lasse mich fotografieren (manchmal von Hollywood Girls, meistens jedoch von verschwitzten Eltern-Paparazzi mit Sonnenbrand), hinter mir ein bunter Kometenschweif begeisterter Kinder. Außerdem halte ich Ausschau nach einer Tür in den Untergrund, weil ich inzwischen ziemlich erschöpft bin. Mir steht noch ein letzter Auftritt als Howie bevor, weil Howie the Happy Hound seine blauen Augen und seine gespitzten Ohren grundsätzlich nie nach Sonnenuntergang zeigt. Keine Ahnung, warum; das war einfach so Tradition.
Habe ich das kleine Mädchen mit dem roten Käppi bemerkt, bevor sie auf den heißen Asphalt der Joyland Avenue fiel und anfing, mit den Armen und Beinen zu zappeln? Ich glaube schon, aber sicher bin ich mir nicht, denn im Laufe der Zeit fügen sich echten Erinnerungen falsche hinzu und verändern sie. Der Pup-A-Licious, mit dem sie herumfuchtelte, oder der grellrote Howie Dogtop sind mir bestimmt nicht aufgefallen; in einem Vergnügungspark ist ein Kind mit einem Hotdog kaum ein ungewöhnlicher Anblick, und an dem Tag haben wir bestimmt tausend rote Howie-Käppis verkauft. Wenn mir das Mädchen auffiel, dann wegen der Puppe, die sie sich mit der Hand, in der sie keine senfverschmierte Wurst hielt, an die Brust drückte. Es war eine große alte Raggedy Ann. Madame Fortuna hatte mir erst zwei Tage zuvor nahegelegt, ich solle nach einem kleinen Mädchen mit einer Puppe Ausschau halten, also habe ich sie vielleicht doch bemerkt. Oder vielleicht habe ich auch nur daran gedacht, von der Hauptstraße runterzugehen, bevor ich noch ohnmächtig umfiel. Jedenfalls war ihre Puppe nicht das Problem – sondern der Pup-A-Licious, den sie aß.
Ich meine nur, dass ich mich daran erinnere, wie sie auf
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