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Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gefallen sein, denn auf einmal interessierte sich das mürrische Mädchen für unser Gespräch. »He, heißt du vielleicht Devin?«
    Ich legte auf. Eigentlich ohne es zu wollen. Ich redete mir ein, nicht gehört zu haben, wie sich in die Stimme des mürrischen Mädchens eine gewisse Belustigung eingeschlichen hatte, als gäbe es da etwas zu lachen. Und zwar über mich. Wie ich bereits erwähnt habe – das Gehirn schützt sich, solange es kann.
    *
    Drei Tage später erhielt ich den einzigen Brief von Wendy Keegan in jenem Sommer. Ihren letzten Brief. Sie hatte ihn auf ihrem Briefpapier geschrieben – ein Briefpapier mit Büttenrand und glücklichen Kätzchen, die mit einem Wollknäuel spielten. So etwas verwendeten normalerweise Mädchen in der fünften Klasse, was mir allerdings erst viel später klar werden sollte. Sie hatte drei Seiten vollgeschrieben, offenbar ohne zwischendurch einmal Luft zu holen. In erster Linie schrieb sie mir, wie leid es ihr tue, wie sehr sie sich dagegen gewehrt habe, aber es sei hoffnungslos gewesen, und sie wisse ja, wie verletzt ich sein würde, also sei es wohl besser, ich würde sie in nächster Zeit nicht anrufen oder besuchen, und sie hoffe inständig, wir könnten Freunde bleiben, wenn der erste Schock sich gelegt habe, er sei ja auch ein wirklich netter Kerl und gehe aufs Dartmouth, er würde Lacrosse spielen, und ich würde ihn ganz bestimmt mögen, vielleicht könne sie ihn mir ja vorstellen, wenn das Herbstsemester anfange, bla, bla, bla, die ganze beschissene Leier. An jenem Abend ließ ich mich fünfzig Meter von Mrs. Shoplaws Strandquartier entfernt auf den Sand fallen, um mich zu betrinken. Wenigstens würde das nicht viel kosten. Damals brauchte es nur ein Sixpack, um mich abzufüllen. Irgendwann gesellten sich Tom und Erin zu mir, und gemeinsam schauten wir zu, wie die Wellen über den Strand ausliefen: die drei Joyland-Musketiere.
    »Was ist los?«, fragte Erin.
    Ich zuckte mit den Achseln, wie man das eben so tat, wenn einem irgendwelcher Kleinkram auf den Sack ging. »Meine Freundin hat mit mir Schluss gemacht. Hat mir einen allerliebsten Abschiedsbrief geschrieben.«
    »So allerliebst scheint er mir aber nicht gewesen zu sein«, meinte Tom.
    »Jetzt zeig mal ein wenig Mitgefühl«, sagte Erin zu ihm. »Er ist traurig und verletzt und will sich das nicht anmerken lassen. Bist du so eine Dumpfbacke, dass du das nicht merkst?«
    »Nein.« Tom legte mir den Arm um die Schulter und drückte mich kurz an sich. »Tut mir echt leid, Kumpel. Du strahlst einen solchen Kummer ab, dass mich in deiner Nähe ein Wind anweht, der aus Kanada, wenn nicht der Arktis kommen könnte. Kann ich ein Bier haben?«
    »Klar.«
    Wir hockten eine ganze Weile so da, und auf Erins vorsichtige Fragen hin erzählte ich ihnen einen Teil der Geschichte, wenn auch nicht alles. Ich war traurig. Ich war verletzt. Aber da war noch viel mehr, und ich wollte nicht, dass sie das mitbekamen. Einerseits weil meine Eltern mir beigebracht hatten, dass man andere Leute nicht mit seinen Gefühlen belästigte, aber vor allem weil es mich selbst schockierte, wie grenzenlos meine Eifersucht war. Ich wollte auf keinen Fall, dass sie auch nur ahnten, was sich da in meine Eingeweide fraß (er war aus Dartmouth, o Gott ja, und wahrscheinlich gehörte er einer angesagten Verbindung an und fuhr einen Mustang, den seine Eltern ihm zum Schulabschluss geschenkt hatten). Und die Eifersucht war noch nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimmste war die entsetzliche Erkenntnis – was mir an jenem Abend aber nur ganz allmählich ins Bewusstsein drang –, dass ich wahrhaftig zum ersten Mal in meinem Leben zurückgewiesen worden war. Sie hatte genug von mir, während ich mir nicht vorstellen konnte, jemals genug von ihr zu haben.
    Erin nahm sich ebenfalls ein Bier und hob die Dose. »Lasst uns auf deine nächste Freundin anstoßen. Ich weiß nicht, wer das sein wird, Dev, aber der Tag, an dem sie dich kennenlernt, wird ihr Glückstag sein.«
    »Hört, hört!«, sagte Tom und stieß mit uns an. Und weil er Tom war, fühlte er sich veranlasst hinzuzufügen: »Seht, seht!« und »Riecht, riecht!«.
    Ich glaube, dass sich keiner von den beiden darüber im Klaren war, weder an dem Abend noch irgendwann später in jenem Sommer, wie sehr ich den Boden unter den Füßen verloren hatte, wie einsam ich mich fühlte. Ich wollte nicht, dass sie das mitbekamen. Mir war das mehr als peinlich; ich fand es geradezu beschämend. Also zwang ich

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