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Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schon tausendmal gesehen, aber ich hab keine Ahnung, wie die Mädels sie nennen.«
    »Ein Haarreif«, sagte Erin.
    »Genau. Ich glaube, der war auch blau. Sie hat die Hände ausgestreckt.« Er streckte die Hände genauso aus wie Emmalina Shoplaw damals, als sie mir die Geschichte erzählte. »Als würde sie um Hilfe flehen.«
    »Das weißt du doch alles von Mrs. Shoplaw«, sagte ich. »Stimmt's, oder hab ich recht? Gib's schon zu! Wir sind auch nicht sauer auf dich. Oder, Erin?«
    »Äh, nein.«
    Aber Tom schüttelte den Kopf. »Ich erzähl euch nur, was ich gesehen hab. Und ihr habt sie bestimmt nicht gesehen?«
    Hatten wir nicht, und das sagten wir ihm auch.
    »Warum ich?«, sagte Tom in klagendem Ton. »Als wir erst mal drin waren, hab ich überhaupt nicht mehr an sie gedacht. Ich hab mich einfach nur königlich amüsiert. Warum ich?«
    *
    Während wir in meiner Karre nach Heaven's Bay zurückfuhren, versuchte Erin, ihm noch weitere Einzelheiten zu entlocken. Tom beantwortete die ersten zwei, drei ihrer Fragen und sagte dann, er wolle nicht mehr darüber reden, und das in einem so barschen Ton, wie ich ihn noch nie hatte mit Erin sprechen hören. Sie offenbar ebenso wenig, denn bis wir in Mrs. Shoplaws Strandquartier eintrafen, war sie mucksmäuschenstill. Vielleicht haben sie sich später noch einmal darüber unterhalten, aber mit mir hat Tom erst wieder etwa einen Monat vor seinem Tod darüber geredet, und da auch nur kurz. Das war gegen Ende eines Telefongesprächs, das eine ziemliche Qual gewesen war, vor allem wegen seiner stockenden, nasalen Stimme, aber auch weil er manchmal durcheinandergeriet.
    »Immerhin weiß ich … dass da … etwas ist«, sagte er. »Ich hab es … in dem Sommer … selbst gesehen. In der Hasty Hut. « Ich verbesserte ihn nicht; ich wusste, was er meinte. »Erinnerst … du dich?«
    »Ja, klar.«
    »Aber ich weiß nicht … ob dieses Etwas … gut oder … böse ist.« Seiner brüchigen Stimme war das Entsetzen anzuhören. »Wie sie … Dev, wie sie die Hände ausgestreckt hat …«
    Ja.
    Wie sie die Hände ausgestreckt hat.
    *
    Als ich das nächste Mal einen ganzen Tag freihatte, war es fast schon Mitte August, und der Ansturm der Conies ließ allmählich nach. Ich musste nicht mehr so oft zur Belustigung der Kleinen die Joyland Avenue hochtapsen, zum Carolina Spin … und zu Madame Fortunas Bude, die in seinem rotierenden Schatten stand.
    Lane und Fortuna – heute war sie ganz Madame Fortuna in voller Zigeunerkluft – unterhielten sich neben dem Steuerpult des Riesenrads. Lane bemerkte mich und tippte sich an die Melone, wie immer, wenn wir uns irgendwo sahen.
    »Na, wen haben wir denn da?«, sagte er. »Wie geht's, Jonesy?«
    »Prima«, sagte ich, auch wenn das nicht ganz stimmte. Seit ich das Fell nur noch vier oder fünf Mal am Tag trug, schlief ich wieder schlecht. Oft lag ich im Bett und wartete, bis die frühen Morgenstunden sich in etwas spätere verwandelten; das Fenster ließ ich offen, sodass ich die Meeresbrandung hören konnte, und meistens dachte ich an Wendy und ihren neuen Freund. Und an das Mädchen, das Tom im Horror House neben dem Gleis hatte stehen sehen, in dem aus Styroporziegelsteinen »gemauerten« Tunnel zwischen dem Verlies und der Folterkammer.
    Ich wandte mich an Fortuna. »Kann ich einen Moment mit Ihnen reden?«
    Sie fragte nicht, warum, sondern ging wortlos zu ihrer Bude und schob den violetten Türvorhang beiseite. Ich folgte ihr hinein. Über einen runden Tisch war eine rosafarbene Decke drapiert, und darauf ruhte Fortunas Kristallkugel. Allerdings war sie jetzt mit einem Tuch bedeckt. Zwei einfache Klappstühle standen so, dass Seherin und Bittsteller einander gegenübersaßen, die Kristallkugel (unter der sich, wie ich wusste, eine kleine Glühbirne befand, deren Helligkeit Fortuna mit dem Fuß regulieren konnte) zwischen sich. An der rückwärtigen Wand hing der riesige Siebdruck einer Hand, die Finger abgespreizt, die Handfläche dem Betrachter zugewandt. Auf ihr waren die sieben Linien eingezeichnet – Lebenslinie, Herzlinie, Kopflinie, Liebeslinie (auch der Gürtel der Venus genannt), Sonnenlinie, Schicksalslinie, Gesundheitslinie.
    Madame Fortuna raffte ihre Röcke, nahm Platz und bedeutete mir, mich ebenfalls zu setzen. Weder zog sie das Tuch von ihrer Kristallkugel, noch forderte sie einen Taler von mir, damit ich etwas über die Zukunft erfuhr.
    »Frag mich, was du fragen willst«, sagte sie.
    »Ich möchte wissen, ob das Mädchen nur

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