Joyland
ich ihre Missbilligung trotzdem. Ich faltete die Unterlagen zusammen, stopfte sie in die Gesäßtasche meiner Jeans und ging hinaus.
Hinter der Reihe der Toilettenhäuschen am rückwärtigen Ende des asphaltierten Geländes standen ein paar Tupelobäume beieinander. Dorthin ging ich, setzte mich mit dem Rücken an einen Stamm und öffnete den Umschlag, den Madame Fortuna mir gegeben hatte. Die Notiz war kurz und treffend.
Du wirst zu Mr. Easterbrook gehen und ihn bitten, nach dem Labor Day im Park bleiben zu dürfen. Du weißt, dass er Dir das nicht abschlagen wird.
Sie hatte recht – ich wollte wissen, ob sie eine Betrügerin war. Hier war die Antwort. Und ja, ich war mir endlich darüber schlüssig geworden, wie es mit dem Leben von Devin Jones weitergehen sollte. Auch da hatte sie recht gehabt.
Aber da stand noch eine Zeile.
Du hast das kleine Mädchen gerettet. Aber mein lieber Junge, Du kannst nicht jeden retten!
*
Nachdem ich meinem Dad erklärt hatte, dass ich nicht an die UNH zurückgehen würde – dass ich ein Jahr Auszeit vom College benötigte und dieses in Joyland verbringen wolle –, herrschte am anderen Ende der Leitung in Süd-Maine langes Schweigen. Ich hatte erwartet, dass er mich anschreien würde, aber das tat er nicht. Er klang nur müde. »Es liegt an diesem Mädchen, stimmt's?«
Knapp zwei Monate zuvor hatte ich ihm erklärt, dass Wendy und ich »eine Pause einlegen« würden, aber er hatte mich sofort durchschaut. Seither hatte er ihren Namen bei unseren wöchentlichen Telefongesprächen kein einziges Mal mehr ausgesprochen. Jetzt war aus ihr dieses Mädchen geworden. Nachdem er sie ein paarmal so genannt hatte, hatte ich versucht, einen Witz darüber zu reißen, aber er fand das überhaupt nicht komisch. Ich versuchte es nicht noch einmal.
»Wendy spielt dabei auch eine Rolle«, gab ich zu. »Aber nicht nur. Ich brauch einfach eine Auszeit. Eine Verschnaufpause. Außerdem gefällt es mir hier.«
Er seufzte. »Vielleicht musst du wirklich mal was anderes machen. Wenigstens arbeitest du und trampst nicht in Europa herum wie Dewey Michauds Tochter. Vierzehn Monate in Jugendherbergen! Und kein Ende abzusehen! Mein lieber Herr Gesangsverein – wenn die zurückkommt, hat sie die Krätze und einen Braten in der Röhre.«
»Also, das musst du bei mir eher nicht befürchten. Ich geb schon acht.«
»Pass nur auf, dass du nicht in einen Hurrikan gerätst. In der Jahreszeit sollen die ziemlich gefährlich sein.«
»Dad, kannst du wirklich damit leben?«
»Wieso? Möchtest du, dass ich mich mit dir streite? Dass ich versuche, es dir auszureden? Wenn du das willst, kann ich's probieren, aber ich weiß, was deine Mutter sagen würde – wenn er alt genug ist, Alkohol trinken zu dürfen, dann ist er auch alt genug, eigene Entscheidungen zu treffen.«
Ich lächelte. »Genau. Klingt ganz nach ihr.«
»Und ich … na ja, ich möchte nicht, dass du aufs College zurückgehst, wenn du dann eh nur die ganze Zeit diesem Mädchen nachjammerst und deine Noten den Bach runtergehen. Wenn Boxautos lackieren und Imbissbuden herrichten dir hilft, das irgendwie zu verarbeiten, dann ist es wahrscheinlich eine gute Sache. Aber was ist mit deinem Stipendium und deinem Studentendarlehen, wenn du nächstes Jahr im Herbst wieder an die Uni zurückgehen willst?«
»Das ist kein Problem. Ich hab einen Schnitt von eins Komma acht, was ziemlich überzeugend sein dürfte.«
»Dieses Mädchen«, sagte er im Tonfall tiefster Abscheu, und dann wandten wir uns anderen Themen zu.
*
Mein Vater hatte recht: Ich war immer noch traurig und deprimiert darüber, wie es mit Wendy zu Ende gegangen war, aber immerhin hatte ich angefangen, den Tatsachen ins Auge zu blicken und mich (wie es in den Selbsthilfegruppen heutzutage so schön heißt) mit ihnen abzufinden. Von echter Gelassenheit war ich natürlich noch meilenweit entfernt, aber ich quälte mich auch nicht mehr Tag und Nacht wie noch im Juni und hatte zumindest das Gefühl, dass es langsam wieder bergauf ging.
Dass ich hier bleiben wollte, hatte auch mit anderen Dingen zu tun, über die ich mir bei Weitem noch nicht im Klaren war, weil sie in einem wilden Haufen durcheinanderlagen und nur vom groben Garn der Intuition zusammengehalten wurden. Mit meiner Begegnung mit Hallie Stansfield zum Beispiel. Und mit Bradley Easterbrook, der am Sommeranfang gesagt hatte: Wir verkaufen Spaß. Genauso mit dem nächtlichen Rauschen der Brandung und damit, wie der landeinwärts
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