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Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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die Ohren gespitzt, und seine Augen leuchteten.
    Als Annie den Rollstuhl zu uns heranschob, kam Fred in einer Rasierwasserwolke herbeigeschwebt. Er sah … prächtig aus. Ein anderes Wort gibt es dafür nicht. Er nahm den Hut ab, verbeugte sich vor Annie und reichte ihr dann die Hand. »Sie müssen Mikes Mutter sein.« Man sollte bedenken, dass die Anrede mit »Ms.« damals noch nicht weit verbreitet war, weshalb ich, trotz meiner Nervosität, anerkennend registrierte, wie geschickt er das Dilemma »Miss« oder »Mrs.« umgangen hatte.
    »Das bin ich«, sagte sie. Ich weiß nicht, ob seine ausgesuchte Höflichkeit oder der Unterschied in ihrer Kleidung sie so nervös machte – sie ausgesprochen leger, er so förmlich wie bei einem Staatsbesuch –, aber durcheinander war sie auf jeden Fall. Immerhin nahm sie seine Hand. »Und dieser junge Mann …«
    »… ist Michael.« Er wandte sich dem Jungen mit den weit aufgerissenen Augen zu, der mit seinen Stahlschienen vor ihm stand. »Vielen Dank, dass du uns heute besuchst.«
    »Gern geschehen … ich meine, ich danke Ihnen. Danke, dass wir kommen durften.« Er schüttelte Fred die Hand. »Der Park ist ja riesig. «
    Was er natürlich nicht war; kein Vergleich mit Disney World. Aber einem Zehnjährigen, der noch nie in einem Vergnügungspark gewesen war, kam es bestimmt so vor. Für einen Moment sah ich alles mit seinen Augen, in völlig neuem Licht, und meine Zweifel daran, ob es richtig gewesen war, ihn hierher einzuladen, schmolzen dahin.
    Fred beugte sich vor, stützte die Hände auf die Knie und betrachtete den dritten Angehörigen der Familie Ross. »Und du bist Milo.«
    Milo bellte.
    »Ja«, sagte Fred. »Ich freue mich auch, dich zu sehen.« Er streckte die Hand aus und wartete, dass Milo die Pfote hob. Als er das tat, schüttelte Fred sie.
    »Woher wissen Sie, wie unser Hund heißt?«, fragte Annie. »Hat Devin Ihnen das gesagt?«
    Er richtete sich auf und lächelte. »Nein, das hat er nicht. Ich weiß es, weil das hier ein magischer Ort ist, meine Liebe.« Er zeigte ihr seine leeren Hände und versteckte sie dann hinter dem Rücken. »Welche Hand?«
    Annie spielte mit und sagte: »Die linke.«
    Fred hob die linke Hand; sie war leer.
    Annie verdrehte die Augen und lächelte. »Okay, die rechte.«
    Dieses Mal zauberte er ein Dutzend rote Rosen hervor. Echte. Annie und Mike stießen ein lautes Keuchen aus. Ich genauso. Noch heute, nach all den Jahren, weiß ich nicht, wie er das gemacht hat.
    »Joyland ist für Kinder, meine Liebe, und da Mike hier und heute das einzige Kind ist, hat er den Park ganz für sich. Diese Blumen jedoch sind für Sie.«
    Sie nahm sie entgegen wie eine Frau in einem Traum, vergrub das Gesicht in den Blüten und atmete den lieblichen Duft ein.
    »Ich lege sie für später in den Wagen«, sagte ich.
    Sie hielt sie noch eine ganze Weile in Händen und reichte sie dann an mich weiter.
    »Mike, weißt du, was wir hier verkaufen?«, sagte Fred.
    Mike wirkte etwas verunsichert. »Zuckerwatte? Achterbahnfahrten?«
    »Wir verkaufen Spaß. Und davon werden wir jetzt eine ganze Menge haben!«
    *
    An Mikes Tag im Park – der auch Annies Tag war – erinnere ich mich, als wäre es letzte Woche gewesen, aber es würde einen weit talentierteren Berichterstatter als mich brauchen, davon zu erzählen, was ich empfunden habe, oder zu erklären, wie es dazu kam, dass Wendy Keegan endgültig aus meinem Herzen verbannt wurde. Ich kann nur sagen, was jeder weiß: Manche Tage sind nicht mit Gold aufzuwiegen. Nicht viele, aber ich glaube, jeder erlebt ein paar davon. Der damalige Tag war einer von meinen, und wenn ich traurig bin – wenn das Leben mir übel mitspielt und alles so schäbig und gewöhnlich aussieht wie die Joyland Avenue an einem regnerischen Tag –, kehre ich in Gedanken zu jenem Tag zurück, wenn auch nur, um mir in Erinnerung zu rufen, dass nicht alles immer nur schlecht ist. Manchmal sind die Preise, die man gewinnt, echt. Manchmal sind sie sogar äußerst kostbar.
    Natürlich waren nicht alle Fahrgeschäfte einsatzbereit, und das war auch okay so, mit vielen wäre Mike nämlich gar nicht klargekommen. Aber mehr als die Hälfte des Parks war an diesem Morgen in Betrieb – die Lampen, die Musik, sogar ein paar der Buden, wo ein halbes Dutzend Hilfskräfte Popcorn verkaufte, Pommes frites, Limonade, Zuckerwatte und Hotdogs. Ich hab keine Ahnung, wie Fred und Lane das innerhalb eines einzigen Nachmittags hingekriegt haben, aber es war ihnen

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