Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
gelungen.
    Wir fingen mit dem Wiggle-Waggle Village an, wo Lane neben der Dampflokomotive der Kindereisenbahn auf uns wartete. Statt der Melone trug er eine aufgebauschte Lokführermütze, aber er hatte sie sich natürlich genauso schief aufgesetzt. »Alles einsteigen! Dieser Zug ist ganz famos, drum steigt schnell ein, es geht gleich los. Kommt, ihr Mütter, kommt, ihr Hunde, wir fahren ab zur ersten Runde.«
    Er deutete erst auf Mike und dann auf den Beifahrersitz in der Lokomotive. Mike stand auf, nahm seine Krücken und geriet sofort ins Wanken. Annie machte einen Schritt nach vorn.
    »Nein, Mama, das geht schon. Ich krieg das hin.«
    Er fand das Gleichgewicht wieder, stapfte klirrend auf Lane zu – ein echter Junge mit Roboterbeinen – und ließ sich dann von ihm auf den Beifahrersitz helfen. »Ist das die Leine, mit der man die Pfeife bedient? Darf ich daran ziehen?«
    »Dafür ist sie doch da«, sagte Lane. »Aber du musst nach Schweinchen auf den Schienen Ausschau halten. Hier in der Gegend treibt sich ein Wolf herum, und vor dem haben die schreckliche Angst.«
    Annie und ich setzten uns in einen der Wagen. Ihre Augen leuchteten. Ihre Wangen waren so rot, dass sie es mit den Rosen hätten aufnehmen können. Ihre Lippen zitterten, obwohl sie fest aufeinandergepresst waren.
    »Alles okay?«, fragte ich sie.
    »Ja.« Sie nahm meine Hand und drückte sie so fest, dass es beinahe wehtat. »Ja. Ja. Ja.«
    »Alle Steuerlämpchen sind grün!«, rief Lane. »Michael, melde dich fahrbereit!«
    »Ich bin fahrbereit!«
    »Nach was sollst du Ausschau halten?«
    »Nach Schweinchen!«
    »Junger Mann, du gefällst mir. Zieh an der Leine, und mach dem Zug Beine!«
    Mike zog an der Leine. Die Pfeife gellte. Milo bellte. Die Luftdruckbremsen schnauften, und der Zug setzte sich in Bewegung.
    Die Kindereisenbahn machte ihrem Namen wirklich alle Ehre. Alle Fahrgeschäfte im Village waren in erster Linie für Mädchen und Jungen zwischen drei und sieben Jahren gebaut. Man bedenke allerdings, dass Mike Ross nur selten unter Leute gekommen war, vor allem seit seiner Lungenentzündung im Jahr zuvor. Wie oft er wohl mit seiner Mutter am Strand gesessen hatte, während das Rumpeln der Achterbahn und die glücklichen Schreie der Kinder vom Strand zu ihnen herüberhallten – und immer war ihm bewusst gewesen, dass er das nie erleben würde.
    Was er stattdessen erleben würde? Er würde immer verzweifelter nach Luft schnappen, während seine Lunge langsam versagte, würde sich bald nicht einmal mehr mit Krücken und Schienen auf den Beinen halten können und irgendwann nur noch im Bett liegen, wo er sterben würde, mit Windeln in der Schlafanzughose und einer Sauerstoffmaske über dem Gesicht.
    Ohne die ganzen Grünschnäbel, die irgendwelche Märchenfiguren verkörperten, wirkte das Wiggle-Waggle Village einigermaßen ausgestorben. Dafür hatten Fred und Lane sämtliche Automaten in Gang gesetzt: die magische Bohnenranke, die mit einer Dampfwolke aus dem Boden schoss; die Hexe, die vor dem Lebkuchenhaus stand und kicherte; die Teegesellschaft des verrückten Hutmachers; den Wolf mit der Nachthaube, der unter einer Unterführung lauerte und auf den Zug lossprang, als wir vorbeituckerten. Hinter der letzten Kurve kamen wir an drei Häuschen vorbei, die alle Kinder nur zu gut kannten – eines aus Stroh, eines aus Holz, eines aus Stein.
    »Pass auf, die Schweinchen!«, rief Lane, und in dem Moment kamen sie laut quiekend auf die Schienen getrippelt. Mike kreischte vor Begeisterung und riss an der Leine. Wie immer sprangen die Schweinchen wieder von den Schienen herunter – in allerletzter Sekunde.
    Als wir in den Bahnhof einfuhren, ließ Annie meine Hand los und eilte nach vorn zur Lokomotive. »Alles in Ordnung, Schatz? Brauchst du den Inhalator?«
    »Nein, mir geht's gut.« Mike wandte sich an Lane. »Vielen Dank, Herr Lokomotivführer!«
    »Es war mir ein Vergnügen, Mike.« Lane streckte die Hand mit der Handfläche nach oben aus. »Klatsch mich ab, oder bist du zu schlapp?«
    Mike schlug ein, und zwar mit Schmackes. Von Schlappheit nicht die Spur.
    »So, ich muss jetzt weiter«, sagte Lane. »Das war nicht der letzte Hut, den ich heute aufhatte.« Er zwinkerte mir zu.
    *
    Bei den Whirly Cups erhob Annie Einspruch, erlaubte Mike jedoch – nicht ohne einige Besorgnis –, mit dem Wellenflieger Chair-O-Planes zu fahren. Als seine Gondel zehn Meter über der Erde dahinsauste und seitlich wegkippelte, packte sie meinen Arm noch fester

Weitere Kostenlose Bücher