Joyland
Gesichtshälfte, und der Schild der Baseballkappe, die er sich ein Stück ins Gesicht gezogen hatte, warf seinen Schatten auf Stirn und Augenbrauen. Auf der Kappe selbst prangte ein Katzenwels, der aus einem großen roten C herausschaute, dem Wappen einer Baseballmannschaft namens »Mudcats« aus South Carolina. Während der Hochsaison wanderten jeden Tag Dutzende von Mudcats-Käppis durch den Park, so viele, dass wir sie, in Anlehnung an die Hundekäppis, Fischkäppis nannten. Der Scheißkerl hätte sich kaum eine anonymere Mütze aussuchen können, und darauf war es ihm wohl auch angekommen.
Ich ließ den Blick hin und her schweifen, von den Whirly Cups zur Schießbude und wieder zurück zu den Whirly Cups. Schließlich warf ich die Fotos in die Mappe und die Mappe dann auf meinen kleinen Schreibtisch. Ich las, bis Tom und Erin zurückkamen, und dann ging ich ins Bett.
Vielleicht fällt es mir morgen früh ein, dachte ich. Bestimmt wache ich auf und sage: »Ach Mist, natürlich! «
Das Rauschen der Wellen wiegte mich in den Schlaf. Ich träumte, ich wäre zusammen mit Annie und Mike am Strand. Annie und ich standen, Arm in Arm, mit den Füßen in der Brandung und schauten zu, wie Mike seinen Drachen steigen ließ. Er wickelte die Schnur ab und rannte dem Drachen hinterher. Er konnte das tun, weil er völlig gesund war. Die ganze Sache mit dem Muskelschwund hatte ich nur geträumt.
Ich wachte früh auf, weil ich vergessen hatte, die Jalousie runterzulassen. Ich ging zum Schreibtisch, nahm die beiden Fotografien aus der Mappe und starrte sie im ersten Sonnenlicht des Tages an, fest davon überzeugt, dass es mir wie Schuppen von den Augen fallen würde.
Aber da passierte nichts.
*
Ein wohlkoordinierter Reiseplan hatte es Tom und Erin ermöglicht, gemeinsam von New Jersey nach North Carolina zu reisen, aber mit Zugfahrplänen und Koordination war das nun mal so eine Sache. Am Sonntag fuhr ich sie mit meinem Ford gemeinsam von Heaven's Bay nach Wilmington, das war's dann aber auch. Erins Zug nach Annandale-on-Hudson im Norden des Bundesstaates New York ging zwei Stunden vor Toms Küstenexpress, der ihn im Eiltempo nach New Jersey zurückbefördern würde.
Ich schob Erin einen Scheck in die Jackentasche. »Fernleihe und Ferngespräche.«
Sie fischte ihn heraus, sah nach dem Betrag und wollte mir den Scheck dann wieder zurückgeben. »Achtzig Dollar sind zu viel, Dev.«
»Wenn ich überlege, was du alles herausgefunden hast, ist es nicht genug. Stecken Sie's ein, Inspektor Columbo.«
Sie lachte, steckte ihn wieder ein und gab mir dann einen Abschiedskuss – noch so ein Schmatzer zwischen Bruder und Schwester, der nichts mit der Art und Weise gemein hatte, wie wir uns am Sommerende voneinander verabschiedet hatten. In Toms Armen verbrachte sie deutlich mehr Zeit. Sie versprachen einander, sich an Thanksgiving bei Toms Eltern im Westen von Pennsylvania zu treffen. Es war nicht zu übersehen, dass er sie nicht gehen lassen wollte, doch als der Lautsprecher verkündete, der Zug nach Richmond, Baltimore, Wilkes-Barre werde gleich abfahren, blieb ihm nichts anderes übrig.
Als sie fort war, schlenderten Tom und ich über die Straße und gönnten uns ein vorzeitiges Abendessen in einem ganz annehmbaren Schnitzellokal. Ich hatte mich gerade in die Dessertkarte vertieft, als er sich räusperte. »Hör mal, Dev«, sagte er dann.
Etwas an seiner Stimme ließ mich sofort aufblicken. Seine Wangen waren noch röter als sonst. Ich legte die Speisekarte beiseite.
»Die Sachen, die Erin da für dich macht … wär wohl besser, wenn das aufhört. Es belastet sie, und irgendwie hat sie darüber ihre Arbeit an der Uni vernachlässigt.« Er lachte, schaute aus dem Fenster zum Bahnhof hinüber, wo reger Betrieb herrschte, und sah dann wieder mich an. »Ich klinge eher wie ihr Vater und nicht wie ihr Freund, was?«
»Du klingst besorgt, das ist alles. Als würde sie dir etwas bedeuten.«
»Bedeuten? Kumpel, ich bin bis über beide Ohren in sie verliebt. Nichts ist mir so wichtig wie sie. Aber ich sag das jetzt nicht, weil ich eifersüchtig bin. Ich möchte nicht, dass du das denkst. Aber wenn sie die Uni wechseln will, ohne ihre finanzielle Unterstützung zu verlieren, dann darf sie keine schlechten Noten haben. Das verstehst du doch, oder?«
Ja, das verstand ich. Aber mir war noch etwas anderes klar geworden, auch wenn Tom das nicht einsehen wollte. Ihm war daran gelegen, dass Erin Joyland fernblieb, und zwar nicht nur
Weitere Kostenlose Bücher