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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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aus all dem Mosaik die Wahrheit ziemlich getreu zusammen.
    Lang in die Nacht hinein brannte auch jetzt seine Lampe. Aber nicht mehr schlurfte der Prälat mit unsicheren, vergreisten Schritten; federnd, jung ging er durch seine weiten, weißen Räume, seine regen Träume füllten sie mit Menschen und künftigen Begebenheiten. Tief und gekitzelt lächelten seine feinen und sehr beweglichen Lippen, und manchmal wohl sprach er, Akteur seiner Träume, vor sich hin: »Voyons donc, mein Herr Geheimer Finanzienrat!« oder: »Ei, ei, wer war sich das vermutend, Exzellenz?«
    Ja, wer war sich das vermutend! Man war ein alter Fuchs, man hatte das Leben und die Menschen von allen Seiten bewittertund beschnuppert. Man bildete sich ein, sich auf Menschengesichter zu verstehen. Und mußte wieder einmal erkennen, daß auf diesem großen Welttheater doch immer noch mehr Schminke und Maske ist, als selbst der ausgekochteste Zweifler supponiert. Wer hätte das geahnt? Er rief das Gesicht des Juden vor sich in sein einsames, nachtstilles Zimmer. Er schloß die Augen und spähte es aus, Zug um Zug, den gelüstigen, sehr roten Mund, die weißen, kalten eleganten Wangen, das unbarmherzige, zufahrende Kinn, die lauersamen, raschen, fliegenden Augen, die glatte, unverträumte Stirn mit den Rechnerbuckeln über den Brauen. Wer hätte hinter diesem eiskalten, eisklaren Geschäfts- und Machtmenschen die sentimentalische Idylle im Wald von Hirsau gesucht! Ei, ei, mein Herr Finanzdirektor! Wie Sie vor mir gestanden waren an jenem üblen Abend in Ihrem Palais! Was für eine wache, mondäne, medisante Miene Sie hatten! Ei, ei, mein Herr Hebräer, ich hätte mich wohl sollen ein weniges mehr zusammennehmen. Ich war wohl ein wenig faselig und plapperig und habe mich nicht ganz à la mode geführt an jenem Abend. Ich saß wohl sehr elend und vertan auf meinem Stuhl, dieweilen Sie rank und schlank und schneidig vor mir standen, und das Mark krümelte sich kurios in meinem Gebein. Nun ja, ich wäre wohl neugierig, wie sich Euer Exzellenz führen in einem ähnlichen Fall.
    Der Kirchenratsdirektor Philipp Heinrich von Weißensee hielt ein auf seinem Gang durchs Zimmer. Die Lampe brannte still durch den weiten Raum, plump surrte ein Nachtfalter, die vielen Bücher ringsum schauten stumm und gelassen, durch das offene Fenster drang stark der Hauch des nächtlichen Waldes. War das Rache, womit er sich da abgab? Waren das Rachepläne? Fi donc, er besudelte sich nicht mit so bürgerlich gemeinen Empfindungen. Er war nur – ja, was war er? – neugierig, neugierig war er, wie der Jude sich halten wird. Ob er auch plötzlich so schlapp und alt sein wird und was überhaupt er tun wird. Ei ja, sehr sehenswert wird das sein, höchst lehrreich wird das sein, viel interessanter, als was es gemeinhinin den Romanen zu lesen, auf den Komödienbühnen zu sehen gibt.
    »Voyons donc, Exzellenz! Eh voilà, mein Herr Geheimderat!« sagte der feine, elegante Prälat vor sich hin, tief und gekitzelt lächelnd. Dann setzte er sich über seinen Bibelkommentar, sehr belebt; mit abschätzigen, spöttischen Augen glitt er über die wackeren Arbeiten der Hochstetter, Weißmann, Hedinger, der braven, umständlichen, gelehrten Männer, und flink und fröhlich ging ihm jetzt das Werk vonstatten.
    Unterdes hatten die Sendlinge des Würzburger Bischofs still und zäh in Stuttgart weitergearbeitet. Hell im Licht standen jetzt neue Männer, Militärs zumeist, die sich wenig um den Süß kümmerten und bei äußerlich gutem Einvernehmen ihre Verachtung des Juden nicht verbargen. Da war der General Oberburggraf von Röder, ein ungeschlachter Mann, dann der Kommandant vom Asperg, Oberstleutnant von Bouwighausen, ferner ein Rudel lärmvoller und farbiger Offiziere, die jetzt immerzu wie ein Zaun um den Herzog waren, die Obersten Tornacka und Laubsky, der Rittmeister Buckow. Ein anderer Offizier sodann, der dem Süß besonders zuwider war, der Major von Röder, Vetter des Burggrafen, Kommandant der berittenen Stuttgarter Bürgergarde, des Stadtreiterkorps, ein knarrender Mann, niedere Stirn, harter Mund, rohe Tatzen, doppelt unförmig in den Handschuhen. Doch am meisten zu Haß und Ekel blieb dem Juden jener Dom Bartelemi Pancorbo, der kurpfälzische Geheimrat, Tabakmanufaktur-und Kommerziengeneraldirektor, der Juwelenhändler, der jetzt wieder ins Licht rückte, die rechte Schulter wie stets kurios hochgezogen, immer in streng zeremoniöser, verschollener portugiesischer Hoftracht, über

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