Jud Sueß
eben dieses Herzogs illegitimer Schwiegervater und Vertrauter. Er konferierte mit Süß, mit den Jesuiten, den Generälen und verfaßte schwungvolle Apologien der Konstitution und der evangelischen Freiheiten. Er hatte seine Töpfe auf allen Feuern, seine Schlingen in allen Wäldern. Der frühere Weißensee wäre selig gewesen, so vieler Komplotte, Intrigen, Konventikel, komplizierter Machinationen Hebel und Angel zu sein. Wäre selig aufgegangen in diesem atemlosen Betrieb, dieser zappelnd-wirbelnden, hunderthändig wichtigen Geschäftigkeit. Der Kirchenratsdirektor ließ wohl auch jetzt Aug und Hand in jeder Aktion, aber zum Staunen aller zog er sich plötzlich mitten im tollsten Getriebe zurück, erklärte, er müsse rasten, setzte sich nach Hirsau in sein verödetes Haus über seinen Bibelkommentar.
Er kam nicht voran damit. Verdrießlich sah er auf die dicken Kompendien der Weißmann, Hedinger, Hochstetter, die umständlich und wacker den gleichen Acker gepflügt hatten. Ach,noch lange werden die Studenten an dieser zähen Weisheit zu kauen haben. Ach, es wird noch gute Weile dauern, bis er diesen Riesenkörper wird mit Herz und Leben gefüllt haben.
Nein, es ging nicht voran mit dem Werk. Wohl brannte die Lampe tief in die Nacht über seinen Büchern; aber seine Augen sahen nicht die Buchstaben, nicht die krausen griechischen, nicht die festen deutschen, nicht die blockigen hebräischen. Sahen eine, die nicht da war; bräunliche, flaumige, männlich kühne Wangen, blaue, starke Augen in seltsamem Widerspiel zu dem dunklen Haar. Sahen sie im stillen Kreis der Lampe, verschlossen, mit kindhaft wichtigem Gesicht. Die Tage schlurfte er durch die Räume, wie waren sie weit und leer!, schlurfte in Pantoffeln, ohne Perücke, vernachlässigt, schnupperte in die Winkel, strich mit der feinen, dürren Hand zärtlich über eine Tischdecke, die Lehne des Sofas, abwesend, mit verrenktem Lächeln.
Dann ließ er den Magister Jaakob Polykarp Schober vor sich rufen. Der erschrak gewaltig. Sicher wird ihn der Kirchenratsdirektor wegen seines Glaubens zur Rede stellen, ihn der Sektiererei bezichtigen, vor Gericht schleppen, einkerkern, unstet und flüchtig über die Erde jagen. Jetzt, wo seine Tochter nicht mehr im Bibelkollegium sitzt, kann er ja alle Rücksicht fallenlassen. Dem pausbäckigen Mann brach der Schweiß aus, seine frommen Kinderaugen wurden sehr rund und ängstlich, er lief mit kurzen Schritten, bedrückt schnaufend, auf und ab. Aber sehr bald kriegte er seinen Schreck klein. Wenn Gott ihn zum Märtyrer bestimmt hat, so wird er solche Auserwählung dankbar auf sich nehmen. So trat er, wenngleich merklich schwitzend, so doch aufrecht und mannesmutig vor den Prälaten und hub sogleich an, streitbar von den drei Männern im Feuerofen zu sprechen. Doch Weißensee, zunächst erstaunt, unterbrach ihn bald, erklärte verbindlich, er habe ihn durchaus nicht in amtlicher Eigenschaft zu sich gebeten, er habe nur den alten Freund seiner Tochter wieder einmal sehen und sprechen wollen. Der Magister, sehr erleichtert, sprach einfältig, herzlich und ehrerbietig von Magdalen Sibylle, und wie der ganze Kreisdiese fromme, edle und erlesene Schwester vermisse. Weißensee hörte gierig zu, der Magister machte sich im stillen Vorwürfe, daß er den aimablen Herrn für einen Wüterich und Holofernes habe ästimieren können, und taute mehr und mehr auf. Der Kirchenratsdirektor befriedete sich sichtlich an dem wohltuend schlichten Geschwätz, er kam öfters mit dem Magister zusammen, ja, die beiden machten gemeinsame Spaziergänge im Wald. Zaghaft begann schließlich Schober von seinen Versen zu sprechen, er rezitierte sein Poem: »Nahrungssorgen und Gottvertrauen« und jenes andere von Jesus dem besten Rechenmeister. Als Weißensee freundlich zuhörte, als er gar etwas von Drucklegung verlauten ließ, gewann diese Leutseligkeit des großen und gelehrten Herrn den jungen Menschen ganz ohne Vorbehalt. So, daß er, dem schon lange das Herz fast bersten wollte, ihm sein Geheimnis von der Prinzessin aus dem Himmlischen Jerusalem und dem argen Juden, ihrem Vater, anvertraute.
Aufhorchte da Weißensee. Abfiel seine Müdigkeit, Fahrigkeit. Tagelang streifte er mit dem über solche Ehre strahlenden Magister durch den Wald. Stand am Holzzaun, ließ sich jede Einzelheit wieder und wieder erzählen. Forschte nach dem Alten, dem Holländer, Mynheer Gabriel Oppenheimer van Straaten. Kombinierte. Bekam zwar Naemi nicht zu sehen, setzte sich aber
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