Jud Sueß
die Lehre nicht verzerrt durch den üblen Zauber der Buchstaben. In seine Gesichte war Elia der Prophet getreten, Simon ben Jochai in seine Nächte. Die Sprache der Vögel war ihm erschlossen, der Bäume, der Flamme, des Steins. Die Seelen derer in den Gräbern konnte er sehen und die Seelen der Lebenden, wenn sie sich an den Sabbatabenden zum Paradies schwangen; auch konnte er von den Stirnen der Menschen ihre Seele ablesen, sie an sich ziehen, mit ihnen sprechen, sie dann wieder zu ihren Eignern entlassen. Die Kabbala hatte sich ihm geweitet, durchsichtig war ihm der Leib der Dinge, er sah in einem Körper, Geist und Seele; Luft, Wasser, Erde war voll von Stimmen und Gesichten, er sah das Weben Gottes in der Welt, die Engel kamen und hielten Zwiesprach mit ihm. Er wußte, daß überall Geheimnis war, aber ihm schlug das Geheimnis das Aug auf, schmiegte sich ihm wie ein folgsamer Hund. Wunder blühten an seinem Weg. Der Baum der Kabbala ging durch ihn durch, seine Wurzeln waren tief im Innern der Erde, seine Wipfel im Himmel fächelten das Gesicht Gottes.
Ach, aber wie wandelte sich in den Büchern des Schülers diese Weisheit. In wilder Unzucht keimte aus ihnen Narrheit und Erkenntnis. Falsche Propheten und Messiasse wuchsen aus den Buchstaben, Zauberei und Wirrwarr, Entrückung und Wunder und Hurerei und Machttaumel und Gottesversunkenheit entgoß sich aus ihnen in die Welt. Das fahle Antlitz des Simon ben Jochai schaute aus diesen Buchstaben, und im Gestrüpp seines silbernen Bartes lagen gesichert und entrückt Myriaden von Frommen und Heiligen, und es prunkten aus den Zeichen dieser Bücher nackt und frech die Brüste der Lilith,und an ihren Zitzen hingen taumelnd und lallend und mit schwindenden Sinnen die Kinder der Lust und der Macht.
Und dies sind einige Sätze aus der Geheimlehre des Rabbi Isaak Luria Aschkinasi:
»Es kann geschehen, daß in einem Menschenleib nicht nur eine Seele eine neue Wanderung erleidet, sondern daß zu gleicher Zeit zwei, ja mehrere Seelen sich mit diesem Leib zu neuer Erdenwanderung einen. Mag sein, die eine ist Balsam, die andere Gift; mag sein, die eine war eines Tieres, die andere eines Priesters und Beflissenen. Nun sind sie in eines gebannt, einem Leib zugehörig wie rechte und linke Hand. Sie durchdringen sich, sie verbeißen sich ineinander, sie schwängern sich, sie fließen ineinander wie Wasser. Wie immer aber, sich zermalmend, sich aufbauend, stets ist solche Vereinigung Hilfe von einer Seele zur andern um der Sühnung der Schuld willen, um die sie die neue Wanderung erleidet.«
Dies sind einige Sätze aus der Geheimlehre des Rabbi Isaak Luria, des Adlers der Kabbalisten, der geboren war in Jerusalem, der sieben Jahre sich kasteite, einsam an den Ufern des Nils, der seine Weisheit nach Galiläa trug und Wunder tat unter den Menschen, der niemals seine Lehre entweihte durch Schrift und Papier, und der geheimnisvoll verschwand auf dem Tiberiassee im achtunddreißigsten Jahre seines Lebens.
Der Fürstbischof von Würzburg fuhr behaglich durch das gesegnete Land. Wohlig atmete der dicke Herr, bequem zurückliegend in den weichen Polstern des gut federnden Wagens, den milden Duft der ersten Obstblüte; alles schwamm in junger Sonne, flaumig lag und zärtlich das junge Grün auf Boden, Baum und Strauch. Der Bischof reiste nach Stuttgart zur Taufe des Erbprinzen. Er war heiterster Laune. Das feine Land! das reiche, gesegnete Land! Das war nun Rom und der Kirche gesichert.
Friedrich Karl von Schönborn, Fürstbischof von Würzburg und Bamberg, der erste Diplomat der Kirche, von denKatholiken als das große Weltorakel, der deutsche Ulysses gefeiert, von den Evangelischen als tückische Schlange, Haman und Herodes begeifert und verlästert, war ein jovialer, behäbiger Herr. Sehr weltmännisch, am Wiener und am päpstlichen Hofe zu Hause, vielgereist und beweglich, war er von einer weit überschauenden, gütigen Menschenverachtung, sah er in einem gütigen Absolutismus, in einem heiteren Katholizismus das Heil der Welt. Die Masse war dumpf, dumm und finster, das war gottgewollt, das hatte Gott nun so eingerichtet, Lebensklugheit forderte, sich damit abzufinden. Es war schmerzlich, daß soviel Elend in der Welt war; je nun, man mußte das beklagen. Doch es genügte, zuweilen darüber zu seufzen; immer darob Trübsal zu blasen oder verkniffen finster auf Änderung solcher Naturordnung zu sinnen war Sache von Toren und dunklen Schwärmern. Er, Schönborn, hatte seine besten
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