Jud Sueß
Kapuziner gestorben in Hildesheim. Die Mutter weiß wohl Näheres. Jedenfalls hat heute der Name nicht mehr schlechten Klang. Scheelsucht und Ungerechtigkeit soll das Urteil gefällt haben. Als Held gilt dem Volke Heydersdorff der Soldat, als Märtyrer Heydersdorff der Mönch.
Solcher Mann also ist sein Vater. Ein wilder Name, ein wildes Schicksal. Der Kabbalist mochte für sein Fatum allerlei herausdeuten aus dem sehr rastlosen Stern des Vaters. Waren da nicht bis ins kleinste geheime Relationen? Der Vater Kapuziner: und er ist hineinverwoben in das katholische Projekt Karl Alexanders. Der Vater Soldat: was Wunder, daß geheime Magie den Herzog, den Soldaten, und ihn aneinanderbindet.
Weg mit dem Geträume! Zugepackt! Was nun? Was wird nun sein? Was wird er jetzt tun?
Er wird vor den Herzog hintreten mit den Papieren, Legalisierung verlangen, Anerkennung seiner christlichen Geburt. Vielleicht wird er selber nach Wien fahren. Er wird die Nobilitierung mühelos durchdrücken, er wird dann in aller Form Landhofmeister werden, auch Präsident des Konseils. Dies also wird sein. Ja, und dann?
Ist er dann anderes, als er jetzt ist? Er wird es leichter haben, seine Hände in das katholische Projekt zu mischen. Der Fürstbischof von Würzburg wird sich nicht mehr vor ihm verschließen, die höhnischen Mäuler unter den Offizieren werden stumm bleiben. Er wird zum faktischen Besitz der Macht auch ihren Namen haben und ihren Schein. Ja, und dann?
Ist er dann mehr als jetzt? Er ist weniger. Ein Schock solcher Diplomaten gibt es im Reich, wie er dann einer sein wird. Das Singuläre, Einmalige, Besondere wird weg sein, das jetzt um ihn ist. Jetzt ist er der jüdische Minister. Das ist etwas. Man lacht, man höhnt; aber unter diesem Lachen steckt Staunen vermummt und Bewunderung. Daß ein Aristokrat Minister wird, was da weiter? Aber ein Jud, der so einsam hochklettert, das ist doch wohl mehr als ein Schock Aristokraten. Soll er das hinwerfen? Wofür? Wozu? Schließlich hätte er sich doch früher schon taufen lassen können. Hätte vielleicht sogar mehr erreicht, als wenn er jetzt als geborener Christ sich offenbarte. Christ sein, das war einer unter vielen sein. Aber Juden gab es auf sechshundert Christen nur einen . Jude sein, das hieß verachtet, verfolgt, erniedrigt sein, aberauch einmalig sein, immer bewußt, aller Augen auf sich zu haben, immer gezwungen, gespannt, gerafft zu sein, alle Sinne lebendig und auf der Hut.
Warum zeigte ihm der Rabbi diese Dokumente jetzt, so unvermittelt, wo er längst in der zweiten Hälfte seines Lebens stand? Gönnte man ihm den Triumph nicht, den er in der Affäre des Jecheskel Seligmann gehabt? Wollte man ihn arglistig um ein bestes Erbteil betrügen? Ihm schlau und verächtlich seine wertvollste Zugehörigkeit ablauern?
Der große Geschäftsmann sah sich in einen Handel verstrickt, wo man mit Ziffern und Kalkulationen nicht weiterkam, wo auch seine kluge Kunst, Menschen zu erraten, versagte. Was, zum Teufel, wollte dieser Rabbi damit, daß er ihm jetzt die Papiere vorlegte? Welche Absicht hatte er dabei? Wenn er, Süß, jetzt als Christ auftrat, was hatte Rabbi Gabriel damit gewonnen? Er konnte sich nicht losreißen von seinem Geschäftsprinzip, daß bei jeder Handlung der Mensch etwas gewinnen, den Partner um etwas prellen wolle.
Die polnischen Juden, wenn sie sich taufen ließen, der lausigste Dreckjude selbst, erhielten sie den Adel. Warum taten sie es nicht? Warum verschmähten sie, diese schlauen Geschäftsleute, so leichten Gewinn? Ließen sich totschlagen lieber, eh daß sie ihn nahmen? Frömmigkeit? Glaube? Überzeugung? Sollte doch etwas an diesen Worten sein? Und war es denkbar, daß solch ein dreckiger polnischer Jude das hatte, was sich hinter so tiefem und tönendem Schall verbarg? War es denkbar, daß solch ein Niedriger in seinem primitiven Gefühl weiser war, für ein dunkles Drüben besser vorbereitet, als er in seiner vielverschlungenen Klugheit? Er fühlte sich wie ein Kind unsicher und ohne Rat und Hilfe.
Heute war er der erste unter den deutschen Juden. Man hob die Kinder hoch an seiner Straße, flehte, aufgeregt und mit vielen dringlichen Gebärden, alles Heil des Himmels auf ihn herab. Er dachte, wie er in der Synagoge gestanden war, mitten in dem ergriffenen Schweigen der sonst so Lauten und Beweglichen, überrieselt von den milden, zitterndenSegnungen des Rabbiners, und ein laues, süßes, schlaffes Gefühl überkam ihn. Es kostete Entschluß, man mußte
Weitere Kostenlose Bücher