Jud Sueß
die Zähne zusammenbeißen, auf dies alles zu verzichten. Wenn er einen Erfolg erzwungen hatte, gewiß, es war schön, ihn den höhnenden Gegnern paradierend in das verzerrte Gesicht zu werfen, es war schön, damit vor Frauen, vor Magdalen Sibylle zu strahlen, aber der satteste Triumph war es doch, ihn vor Isaak Landauer, in der Judengasse, vor der Mutter ihn auszubreiten. Hier konnte man behaglich, ohne Furcht vor hämischem Wort und Blick, an seinem Erfolg kauen, seinen letzten Saft auskosten, und wußte, im Grund freuten die anderen sich mit. Hier war man zu Hause, hier konnte man Miene, Geste, Wort lockern, ausspannen. Hier war man in Frieden und wohlgebettet.
Seine Mutter. Sie hat sich also, wie sagt man?, vergangen. Seltsam, daß sie dadurch nicht um ein Haar anders für ihn wird. Der, den er für seinen Vater gehalten, der sanftmütige, höfliche, geschwinde, liebenswürdige, betuliche Sänger und Komödiant, den sollte er jetzt wohl verachten. Merkwürdig, daß er kein anderes Gefühl für ihn aufbringen konnte als Zärtlichkeit. Wie muß dieser Mann seine Mutter geliebt haben, daß er sie den Bastard nie entgelten ließ. Er hatte kein häßliches Wort gehört von ihm zu ihr. Und wie war auch zu ihm selber dieser Mann zeitlebens zart und einfühlsam und väterlich gewesen. Ihn in Gedanken anders als Vater zu nennen gelang nicht.
Und die edlen Regungen in der Affäre des Jecheskel Seligmann, das Opfer, das war also alles Selbstbetrug, Schwindel? Das hat er sich selber vorgespielt? Er bäumte hoch. Die Gehobenheit, die er damals verspürt, als er sich die Tat abgerungen, dies selige Schwimmen und Sichlösen und Aufgehen und Verströmen: das soll alles Lüge und Eitelkeit gewesen sein? Und das mit Edom, die Rache an Edom, das war nur Schwatz, schöne Rednerei, den Rabbi hinters Ohr zu hauen? Aber es hatte ihn doch gehoben, aus seinen Grenzen, über sich selber hinausgehoben! Er hatte es doch geglaubt, erhatte doch gewußt, daß es wahr war! Und das Kind? Wenn man ihm die Papiere nicht gewiesen hätte, dann wäre er also mit der Lüge vor das Kind getreten, hätte selber an die Lüge geglaubt und durch den eigenen auch das Kind zum Glauben an die Lüge verführt. Nein, nein, das war nicht möglich. So war es, daß, was er damals gespürt hatte, Repräsentant Judas gegen Edom, Schutz und Rächer, daß dies ehrlich war und unverfälscht. Das war schon seines Lebens Sinn und Hebel. Er war eben seiner Mutter Sohn, nicht seines Vaters.
Aber daß er sich nur in Glanz und Macht zu Hause fühlte? Das war zu Recht, das war von Erb und Bluts wegen, daß die Dinge sich ihm schmiegten! Daß Gold, Glanz, Macht ihm zufiel wie von selbst, ihm stand wie ein Kleid, sorglich für ihn gefertigt, das war seines Vaters rechtens überkommenes Erbteil. Darum zog es den Herzog zu ihm, daß er sein Herz vertrauend in seine Hand legte. Er war seines Vaters Sohn. Es war Recht und Pflicht, herauszutreten aus den Reihen der Niedrigen und Verachteten, groß zu stehen im Licht, die Hand zu legen auf seinen Namen, Erbe und Stellung.
Die Gedanken wirrten sich ihm. Was tun? Wohin sich bekennen? An goldenen Fäden zog die Macht; doch auch die Lockung, unter den Verachteten zu stehen, war so zäh wie mild. Reizvoll war es, jede Rüstung abzutun; aber auch in dem goldenen Panzer zu prangen war Versuchung und starke Lust.
Mitten im Traum sah er sich, der zuweilen ihn anfiel. Sah sich schreiten in jenem gespenstischen Tanz, an einer Hand hielt ihn der Herzog, der Rabbi an der andern. Schritt da vorne nicht sein Vater, der Feldmarschall, abgerissen die Epauletten, im Takt klirrend mit dem zerbrochenen Degen, winkend mit den Urkunden seiner Abkunft? Aber der Mönch dort hinten, der Kapuziner, der ist doch auch wieder sein Vater! Sonderbar, daß man nicht erkennen kann, ob das der zerbrochene Degen ist oder der Rosenkranz, was ihm da herunterhängt. Aber wer dort vorne lächerlich im Kaftan hüpfend sich ihm zuneigt, mit dem strähnigen Bart, das ist Isaak Landauer. Nein, nicht Isaak Landauer ist es, sondernJecheskel Seligmann. Er kommt sich zu bedanken, und er verbeugt sich albern, und er knickst tief und küßt ihm den Rock, und es sieht komisch und beklemmend aus, wie er immer wieder mit dem von der Folter zerrissenen Gesicht lächelt und dann wieder knicksend mit dem Kaftan den Boden schleift.
Mit Gewalt aus seiner Benommenheit und Dämmer reißt sich Süß. Er will jetzt seine Mutter sehen. Er will sich jetzt nicht entschließen; mit Ziffern
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