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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Wolke dunkelte die Gletscher, die Gipfel in der unendlich zarten Linie ihres flimmernden Schnees leuchteten unerreichbar in mildem Hohn. Ein Geier schwamm in dem blauen Geflirr, ruhevolle Kreise über dem versteinert wirren Gezack des Hochtals.
    Der Mensch, auf dem Vorsprung kauernd, winzig in der maßlosen Landschaft, sog die Linien in sich. Des Steins, der Ödnis, des zerschrundeten Eises. Das zarte, höhnische Leuchten, die Wolke, den Vogelflug, die finster tolle Willkür der Blöcke, die Ahnung tieferer Menschen und weidenden Viehs. Er atmete kaum, er schaute, ergriff, begriff.
    Endlich, fast taumelnd von so gespannter Reglosigkeit, hob er sich, erschöpft, die Stirne lösend von dem gefurchten Zeichen, in tiefer, gefaßter Trauer. Stieg mühsam, halb gelähmt noch, zu Tal.
    Unten, aus dem ersten der drei Höfe, kam ihm ein fetter, blasser Mensch entgegen, ein Unbekannter, schaute ihn prüfend an, das Gesicht gleichmütig, wollte sprechen, einenBrief in der Hand. Rabbi Gabriel schnitt ihm das Wort ab. »Von Josef Süß«, sagte er, so leichthin, als wäre ihm der Mensch und seine Sendung längst angesagt, als bestätigte er Erwartetes. Nicklas, unerstaunt, daß der Fremde ihn kannte, neigte sich. »Ich komme«, sagte Rabbi Gabriel.
    Die Gräfin war nach zehn Tagen wütender Tätigkeit in stumpfes Warten gefallen. In trüber Lähmung saß sie zwischen Lapislazuli und Gold, fett, die energischen Wangen schlaff, die Arme gelöst. Gedankenlos ließ sie, die sonst hier jedes Kleinste angeordnet, kontrolliert hatte, von ihren Zofen sich massieren, schmücken, in Kleider und Prunk hüllen. Sie ließ in der Nacht die Kaspara Becherin holen, die als Hexin und Wissende galt; aber das schmuddelige Weib, ängstlich und verblödet vor der Pracht ringsum, stotterte nur verstörten Unsinn. Und der Magus und Kabbalist, den Isaak Landauer ihr versprochen, kam nicht und kam nicht.
    Die Boten aus Jagdhaus Neßlach meldeten immer das gleiche vorerst. Der Herzog jagte, hielt Tafel, schlief mit der Ungarin. Dann aber, von einem Tag zum andern, überholten sich in jäher Wendung überraschende Depeschen. Der Geheimrat Schütz war, verbindlich und unermüdlich, zum Herzog vorgedrungen. Anderntags traf der elegante Prälat Weißensee in Neßlach ein, der weltläufige Diplomat des parlamentarischen Elfer-Ausschusses. Der Herzog konferierte zwei Stunden mit Schütz, die Ungarin ward den gleichen Mittag nach Ludwigsburg geschickt, und am Abend gar empfing Eberhard Ludwig den Prälaten Osiander, den stiernackigen Polterer, den entflammtesten Anhänger der Herzogin.
    Diese Kunde in Wildbad, konnte die Gräfin sich nicht mehr halten. Ah, Osiander beim Herzog. Osiander! Sie tobte. Als sie verlangt hatte, ins Kirchengebet eingeschlossen zu werden, hatte der plumpe, hundsköpfige Schuft sich erdreistet, sie stehe ja schon drin: Erlöse uns von allem Übel! und war breit schmunzelnd auf dem Gelächter des ganzen Deutschland herumgeschwommen. Der Herzog hatte nichtgewagt, den populärsten Mann Württembergs zu entlassen, aber er hatte ihn nicht mehr empfangen. Und jetzt war er in Neßlach, polterte gegen sie mit bäurisch groben Späßen. Nein, nein! Warten? Unsinn. Sie wäre erstickt an längerem Zusehen. Nicht einmal für die Karosse hatte sie Geduld genug. Befehle in rasender Hast: Intendant, Sekretär, Zofen, Lakaien sollten folgen. Sie selber, nur mit einem Reitknecht, flog zu Pferde nach Neßlach, gönnte sich nicht die Zeit zum Essen, ritt wie ein Dragoner des Satans.
    Traf den Herzog mitten im Hallo seiner Hubertusritter, kunstreich kutschierend, lärmend. Eberhard Ludwig, hilflos überrascht, zwischen den verstummten, höflich tief geneigten, heimlich feixenden Herren, hochrot, flatternd verlegen, schnaubte durch die fleischige Nase, führte die Gräfin ins Schloß, befahl ein Bad, Erfrischungen. Ein Teufelsweib die Frau! Solcher Ritt! Diese Christl! Ein Teufelsweib!
    Die Gräfin zwang ihn, noch im Reitkleid, heiß von der Anstrengung, dick eingestaubt, zu einer Auseinandersetzung. Nicht durchgehen jetzt. Halten. Niederhalten. Fest den Dekkel der Vernunft auf das kochende Herz. Äugen, in das unsichtbare Dämmer hineinlugen, ruhig, ein kleiner Irrtum des Augs kann alles verderben. Das Tastende, sich Windende, Ausbiegende, Flatternde, Unklare da anpacken, wieder fest in die Hand kriegen. Jetzt es packen, wo es überrascht ist, nicht auskann, wo kein anderer dazwischenredet, ihm kluge, freche, hinhaltende Maßnahmen einflüstert. Ruhe, ihr

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