Jud Sueß
Der dürre, ausgeglühte Kavalier hätte nie geglaubt, daß er eine fette, alternde Frau je noch mit solcher Aufrichtigkeit und Beflissenheit hofieren würde. Sie machten bei Tafel geistreiche, mit hundert frechen Anspielungen gewürzte Konversation, und er wartete mit Spannung, wie weit sie die Auflehnung gegen den strikten Befehl Eberhard Ludwigs treiben würde.
Der Herzog blieb nicht lange in Berlin. Schütz konnte der Gräfin mitteilen, die Herzogin sei gebeten, nach Schloß Teinach zu fahren. Auch Deputierte des Landtags seien hinbeschieden, desgleichen die Gesandten von Baden-Durlach, Kurbrandenburg, Kassel. Der Herzog wolle sich mit seiner Gattin vor Volk und Reich aussöhnen. Lang, still sah die Gräfin den Geheimrat an, der sie ernsthaft und aufmerksam betrachtete. Dann, mit einem erstickten, kleinen Schrei wollte sie aufspringen, fiel ohnmächtig um. Er bemühte sich um sie, rief ihre Frauen. Des Abends ließ er sich wieder bei ihr melden, fragte nach ihren Dispositionen. Sie, ganz stille Hoheit, erklärte, sie gehe auf ihr Schloß Freudenthal, zu ihrer Mutter, die sie vor fünf Jahren dort hatte hinkommen lassen. Schütz fragte, ob er ihr keine Eskorte mitgeben dürfe, er hatte Angst vor Ausbrüchen der Volkswut. Sie, den Kopf zurück, die Lippen schmal, lehnte ab.
Andern Tages zog sie aus Ludwigsburg. In sechs Karossen. Der Geheimrat stand tief geneigt an der Rampe des Schlosses, während ihre Pferde anzogen. Hinter den Portieren der hohen Fenster lugten grinsend die herzoglichen Lakaien. Die Bürger schauten stumm, ohne zu grüßen; zu höhnen wagten sie nicht. Aber der krähende Spott der Straßenjungen flog ihrer Kutsche nach.
Vorausgeschickt hatte sie einen ganzen Wagenpark mit Möbeln und Nippsachen. Das Schloß war kahl nach ihrem Abzug. Selbst das kostbare Tintenfaß des Herzogs fehlte, und die Büsten des August und des Mark Aurel standen sehr nackt vor dem Prunkbild des italienischen Meisters, das die Gräfin darstellte mit den herzoglichen Insignien.
Schütz hatte sie lächelnd gewähren lassen.
Von den vier Zimmern, die Süß beim Sternwirt in Wildbad behauste, mußte er zwei abgeben. Der Prinz Karl Alexander von Württemberg, kaiserlicher Feldmarschall und Gouverneur von Belgrad, kam früher, als er sich angesagt hatte, und brauchte die Zimmer. Dem Prinzen war die Gräfin tief zuwider. Er warohne jedes Vorurteil. »Eine rechte Hure, her damit!« pflegte er zu sagen: »aber eine filzige Hure, das ist der scheußlichste Sud des Teufels.« Und die Gräfin galt ihm als eine filzige Hure. So wollte er ihre Abreise abwarten, um ihren Anblick zu vermeiden. Nun sie früher gegangen war, konnte er seinen Würzburger Aufenthalt abkürzen.
Die Kurgäste des Wildbads begafften neugierig die Karosse des ankommenden Prinzen. Karl Alexander, Sieger von Peterwardein, rechte Hand des Prinzen Eugen, kaiserlicher Feldmarschall, zu Wien in hohen Gnaden. Überall in Deutschland, und besonders in Schwaben, hing sein Bild herum, wie er beim Sturm auf Belgrad unter türkischem Kugelregen mit siebenhundert Axtmännern die Höhe emporklimmt. Ein aufregendes Bild. Ein Held. Ein großer General. Bravo. Evviva. Im übrigen politisch völlig belanglos, ein kleiner Prinz aus einer Nebenlinie. Gänzlich ungefährlich. Galanter Herr nebenbei, gefälliger Kamerad, guter Kerl. Das allgemeine Wohlwollen flog ihm entgegen, die Damen vor allem interessierten sich für den Kriegshelden, und die Tochter des Gesandten der Generalstaaten warf ihm ein Lorbeerzweiglein in den Wagen.
Sein Aufzug war nicht gerade stattlich. Ein räumiger, solider, etwas abgebrauchter Reisewagen. Der Prinz selber freilich sehr elegant, das offene, fröhliche Gesicht, jetzt auf der Reise ohne Perücke, in dem schönen, langen, blonden Haar, die hohe, kräftige Statur imponierend in der reichen Uniform. Aber das Gefolge sehr dürftig. Der Leibhusar, ein Heiduck, der Kutscher, das war alles. Nur ein Auffallendes, Luxuriöses: auf dem Rücksitz ein braunschwarzer, schweigender, gravitätischer Kerl, ein Mameluck oder so was, der Prinz mochte ihn auf einem Feldzug erbeutet haben.
Süß und Isaak Landauer standen vor dem Gasthof unter gaffendem, »Hoch!« schreiendem Volk, als der Prinz ankam. Süß starrte neidvoll auf den riesigen, eleganten Mann. Mille tonnerre! Das war nun wirklich ein Prinz und großer Herr. Was sonst sich in Wildbad herumtrieb, reichte ihm nicht an die Achseln. Auch der Braunschwarze machte ihm Eindruck.Isaak Landauer aber taxierte
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