Judassohn
Gnade zu gewähren.
* * *
KAPITEL IV
Mai 1790,
nahe Požarevac (serbisches Gebiet)
Dominic ritt auf dem Pferd durch die mondklare Nacht. Der Wind roch nach frischen Blüten und Gras. Der Frühling hatte ungeachtet des Kriegs zwischen den Habsburgern und den Osmanen das von den Kämpfen gebeutelte Land erreicht. Die Natur folgte unbeirrt ihrem alten Lauf.
Dominic erlaubte seinen Gedanken zu schweifen.
Sosehr Marek versuchte, ihn zu einem Wissenschaftler umzuwandeln, so sehr wehrte er sich. Gegen das Lesen hatte er nichts einzuwenden. Es machte ihm Spaß, sich mit neuen Sprachen zu befassen, doch die kleinen Einführungen in die harmlosen Versuche der Alchimie stießen ihn ab. Pülverchen, Mixturen, Laugen und Säuren, Metalle – das war nicht seine Welt. Die Gerüche lagen ihm nicht, das ständige Abwiegen der Zutaten bis aufs kleinste Körnchen schürte seine Ungeduld, und immer lief er bei Experimenten Gefahr, aus kleinsten Versehen gewaltige Katastrophen auszulösen.
Niemals. Die Alchimietiegel müssen ohne mich auskommen. Ich sprenge mich sonst selbst in die Luft.
Es gefiel Dominic dagegen ausnehmend gut, dass Marek ihn streng nach den Traditionen der Kinder des Judas im Kampf mit dem Dolch unterrichtete. Seine Mutter und sein Oheim waren von dem deutschen Söldner Frans Hohentgar geschult worden, wie Marek ihm berichtete. Und genau nach dessen Methode zeigte er ihm nun Angriff und Parade mit Dolchen.
Dass kurze Klingen derart tödlich sein können.
Hatte sich Dominic zunächst vor seinem Oheim gefürchtet, verstand er rasch, dass Marek keine echte Handhabe gegen ihn besaß, vom Tod einmal abgesehen. Weder gab es die angedrohten Schläge, noch wurde er eingesperrt oder die Unterrichtung in den vampyrischen Kräften abgebrochen.
Ihm läuft die Zeit davon. Aber was ist so dringend für ihn?
Dominic erachtete es als gewiss, dass es etwas mit ihm zu tun hatte – oder besser mit dem Erbe seiner Mutter. Er musste herausfinden, was sie besonders gemacht hatte und was ihn deswegen so bedeutsam für seinen Halbonkel werden ließ.
Er peitschte das Pferd an. Seine Zeit war kostbar. Er musste sein Ziel in einer Nacht erreichen und zu dem hölzernen Palast zurückkehren, bevor sein Fernbleiben bemerkt wurde.
Als Marek über die Cognatio, die Versammlung der Barone, gesprochen hatte, hatte er am Rande eine gute Freundin seiner Mutter erwähnt: eine Baronin namens Lydia Metunova.
Und genau dorthin war Dominic unterwegs.
Wie sie mich wohl empfangen wird, wenn sie hört, wessen Sohn ich bin?
Die Nacht erklang in bekannten Tönen, wenn auch mit weniger Grillen als in seiner Heimat Frankreich. Im dichten Wald waren es vielmehr die Schreie von Kauz und Fuchs, die aufklangen. Fledermäuse taumelten mit ihren ungelenk wirkenden, schnellen Bewegungen vor dem Mond dahin und jagten flatternde Motten.
Die Dunkelheit an diesem Fleckchen Erde ist finsterer, habe ich das Gefühl. Aber sie ist der beste Schutz. Und zugleich die Voraussetzung für meine neue Bande.
Seinen Plan, Verbrecher um sich zu sammeln, hatte Dominic nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil: Er würde eine Gruppe schaffen, wie sie die Welt und auch diese Region noch nicht gesehen hatte!
Sein Ehrgeiz verlangte, dass er sich verschiedenste Vampyrezu Freunden machen und sie dazu überreden würde, mit ihm über die Dörfer und Städte herzufallen. Wer sollte sich einer solchen Meute mit den unheimlichsten Kräften in den Weg stellen?
Das werden die besten Raubzüge, die ich jemals unternommen habe! Ich pfeife auf die Unsterblichkeit, die Marek erforscht,
dachte er.
Ich will jetzt in Reichtum leben und nicht in einer nach alchimistischen Substanzen stinkenden Scheune unterkriechen. Wer weiß, ob er sein Ziel jemals erreicht und nicht wichtige Jahre verschwendet?
Vor ihm erschien eine hohe Hecke, in die der Weg hineinzuführen schien. Beim Näherkommen erkannte er, dass daraus ein Pfad wurde, verwuchert und verwildert; lange Ranken hingen von oben herab, als fischten sie nach denjenigen, die hier unterwegs waren.
Tentakeln mit langen Dornen.
Dominic brachte sein schweißnasses, schnaubendes Pferd zum Stehen und stieg ab, um es anzubinden. Alleine schritt er auf dem kaum mehr sichtbaren Pfad entlang.
Es war vollkommen windstill und geräuschlos. Im grünen Labyrinth gab es keinerlei Hall von seinen Schritten: Es knisterte kurz, dann war der Ton verschwunden, wie abgeschnitten.
Verwunderlich. Ich hoffe, ich habe mich nicht vertan, was den Ort
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