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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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würde die Schneide in der Luft schweben und sich von ihm wegbewegen. Dann wurde der Riese sichtbar.
    »Da bist du ja!« Mit ausgestreckten Armen und weit aufgerissenem Maul hechtete Autre brüllend auf ihn zu und versuchte, die dürre Kehle mit seinen Fängen zu umschließen.
    Mit großer Mühe gelang es dem Riesen, ihn abzuwehren. »Judassohn!«, rief er erschrocken. Er bekam ein Knie unter ihn geschoben und schleuderte ihn davon. »Die roten Haare hätte ich zu deuten wissen müssen. Du bist ein Judassohn!«
    Was soll ich sein?
Seine Landung war weich. Gefährlich weich. Bis zu den Knien steckte er im Sumpf und war im gleichen Moorloch gelandet, in dem er die Leiche des Fischers versenkt hatte. Schnelle Bewegungen brachten gar nichts.
So will ich nicht enden!
Hastig blickte er sich um, doch er entdeckte nichts, womit er sich hinausretten konnte.
    Der Riese richtete sich auf und zog sich den Kopf des Beils aus der Seite. Er hatte die Lage seines Gegners erfasst. »Mit euch hätte ich im Land der Werwölfe am wenigsten gerechnet. Oderwird es im Osten zu eng? Freiwillig würdet ihr niemals gehen. Haben sich die Machtverhältnisse gewandelt?«
    »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    Der Riese trottete bis an den Rand des Lochs; dabei leckte er sein eigenes Blut von der Klinge. »Ich ahnte doch gleich, dass mit dir was nicht stimmt. Aber ein Judassohn …« Er schüttelte den Kopf. »Was tut ihr hier im Westen Frankreichs?«
    »Ich verstehe nicht, was du da redest!«, schrie Autre ihn an.
    Der Riese drückte das Holz aus dem Axtkopf und steckte ihn in seinen viel zu weiten Mantel. Er wartete ab.
    Glucksend sank Autre ein Stück weiter ein, steckte jetzt bis zu den Oberschenkeln im zähen Tod.
Was tue ich?
Er griff nach Schilfhalmen, raffte ein ganzes Bündel zusammen und versuchte, sich daran herauszuziehen.
    »Was machst du denn da?«, fragte der Riese irritiert.
    »Mich retten.«
    Jetzt lachte der Riese schallend. »Du willst mich aufs Kreuz legen!«
    Knisternd und quietschend riss das Schilf. Für Autre ging es weiter abwärts, bis zum Schritt. Verzweifelt grabschte er nach neuen Halmen, doch auch sie konnten sein Untergehen nicht aufhalten.
    Der Riese wurde plötzlich ernst. »Du willst mir allen Ernstes sagen, dass du nicht weißt,
was
du bist? Was die Kinder des Judas sind? Dass es dir ein Leichtes wäre, aus dieser Falle zu entkommen?«
    »Ich weiß nichts!«, schrie Autre zornig zurück. »Ich lebe und trinke Blut, um das Feuer in mir zu kühlen. Das ist alles. Mein Aussehen ist das eines Menschen, doch das bin ich nicht!«
    »Nicht
mehr
«, verbesserte ihn der Riese, dessen Gesicht einen verschlagenen Ausdruck annahm. »Wollen mal sehen, wie ernst dir diese Geschichte ist, die du mir auftischst.« Er tat einen gewaltigen Satz und sprang aus dem Stand über ihn hinweg. Dabeidrückte er ihm mit den Füßen auf die Schultern und ließ ihn bis zum Hals ins Moor sinken. Anschließend ging er um das Loch herum und betrachtete ihn. »Nun?«
    Autre wollte ihm antworten, und schon schwappte ihm der stinkende Schlamm in den Mund. Hustend spuckte er ihn aus. »Drück mich ganz nach unten, wenn du mich schon umbringen willst!«, sagte er undeutlich. »Mach schon!«
    Der Riese schien überzeugt zu sein. »Wenn ich dich rette, gehört dein Leben mir. Du stehst fortan in meiner Schuld, bis ich dich daraus entlasse«, verkündete er. »Willigst du ein?«
    »Ja«, kam es über Autres dreckige Lippen, bevor er nachdenken oder sein Stolz sich regen konnte. »Ich stehe in deiner Schuld.«
    »Sehr gut!« Der Riese stellte sich auf die Zehenspitzen, machte einen Schritt in die Luft – und schwebte eine Handbreit über dem Boden. Er ging wie auf einer unsichtbaren Planke über das Moor bis neben den Sinkenden. Er langte in die roten Haare, dann machte er kehrt und marschierte auf festen Boden zurück.
    Schmatzend begehrte der Sumpf dagegen auf, dass ihm sein neuestes Opfer genommen wurde, aber die Kraft des Riesen war zu groß. Er zerrte Autre schmerzhaft am Schopf auf das weiche, feuchte Gras.
    »So.« Sein Retter sah auf ihn herab. »Du weißt also gar nichts?«
    »Nein.«
    »Nicht einmal deinen alten Namen als Mensch?« Offenbar nahm er das Schweigen als eine neuerliche Verneinung. »Dann nennen wir dich bis auf weiteres Mocsár.« Der Riese grinste. »Das bedeutet
Sumpf
in meiner Sprache.« Er zeigte auf sich. »Ich bin Szomor.«
    Autre stellte sich auf die Füße und wischte sich den Schlamm von den Hosen, so gut es ging.

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