Judassohn
die Alchimie auch dabei helfen.
Da er keine Antwort auf seinen Befehl zur Entsorgung des Leichnams bekommen hatte, sah Szomor ihn über die flackernden Kerzenflämmchen hinweg durchdringend an. »Ich kenne nun deinen richtigen Namen«, sagte er ansatzlos. Dabei rollte er das R so ungewohnt wie jedes Mal. Seine Heimat lag weit im Osten, in Ungarn, von wo er vor den Kindern des Judas geflüchtet war, wie er eines Abends berichtet hatte.
»Meinen Namen?« Mocsár schaute gespannt. Noch hatte er seine Erinnerung an das Leben vor seiner Wandlung nicht zurückerlangt. Aber wenn er tagsüber schlief, in dem Verschlag und im sicheren Versteck vor der Sonne, kamen die Träume mit den vielen verwirrenden Gesichtern. Er kannte sie, wusste sie jedoch nicht einzuordnen. Mal erwachte er mit Angst, mal mitFreude, mal mit Melancholie in seiner Seele. Er glaubte fest daran, dass er seine Seele nicht verloren hatte.
Aber sein neues Dasein verstärkte Fähigkeiten in ihm, die vorher vermutlich in feinen Prisen vorhanden gewesen waren. Er zeichnete. Er zeichnete die Gesichter derer, die er im Schlaf sah. Dazu kamen Orte, Gegenstände, die ihm scheinbar etwas bedeutet hatten. Unzählige Bilder waren auf diese Weise zustande gekommen.
Szomor nickte. »Tanguy Guivarch. So hast du geheißen.«
Tanguy … Ein schöner Name!
Er lauschte in sich hinein. »Er … kommt mir nicht bekannt vor.«
»Du warst Schilfbauer in Kerhinet, ein kleiner Weiler am Rand der Brière. Es sind nicht mehr als ein Dutzend Häuschen.« Szomor betrachtete ihn aufmerksam, wohl um irgendwelche Reaktionen sofort von seinem Gesicht ablesen zu können.
»Woher kommt dein Wissen?«
»Ich war auf dem Markt von Guérande und hatte einige deiner Zeichnungen dabei. Dort erfährt man alles.« Der Hexer wirkte betrübt. »Es sind keine schönen Neuigkeiten, Mocsár.«
»Was hast du herausgefunden?« Tanguys Finger zitterten vor Aufregung, der Federkiel bebte und tropfte schwarze Tinte dick aufs Blatt. Schnell legte er ihn zur Seite und faltete die Finger zusammen.
Endlich!
»Du hast deine zukünftige Gemahlin vor Räubern beschützt«, erzählte Szomor bedächtig. »Man sagte mir, dass deine Leiche ein tiefes Bissmahl am Hals aufgewiesen hätte. Also waren
sie
es, die dich mit dem Vampirfluch belegt haben.« Er nahm das Bild eines bärtigen, bulligen Mannes und hob es hoch. »Das war er. Malo, so wurde er genannt. Er infizierte dich mit dem Bösen und setzte weiteres Unglück in Gang.«
Beinahe war er glücklich darüber. »Ich habe meine Verlobte gerettet!« Zielsicher griff er nach dem Blatt mit den Zügen einer hübschen jungen Frau. »Weißt du auch ihren Namen?«
Szomor atmete tief ein. »Gwenn Martin.«
Ich … erinnere mich! Gwenn! Ich … es kehrt zu mir zurück!
Tanguy sprang auf. Er spürte, wie sich die alten Gefühle für sie in ihm regten. »Dann will ich sie besuchen, und ich …«
»Setz dich«, befahl ihm der Hexer unwirsch. »Du kannst sie nicht mehr besuchen.«
»Wieso?«
»
Du
hast sie umgebracht. In der Nacht darauf.«
Das kann nicht … Lass es ein Irrtum sein! Wie schrecklich! »
Nein«, stöhnte er auf und sank auf den Stuhl zurück.
»Du hast sie getötet. Wie deine Brüder Gurvan und Pierrick. Und deine Mutter.« Szomor seufzte traurig. »In deinem Blutrausch hast du ganz Kerhinet ausgelöscht. Die Menschen in Guérande glauben zwar, es seien die Räuber gewesen, um sich zu rächen, aber ich weiß, was geschehen ist.« Er nahm seine Hand. »Nach dem Erwachen sind Vampire besonders gefährlich, Mocsár. Gerade die Kinder des Judas.«
Tanguy wurde übel vor Schuld.
Ich habe meine Lieben ermordet …
Szomor beugte sich nach vorn. »Du kannst nichts dafür. Du bist ein Opfer der Räuber geworden.« Er klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter. »Es war keine willentliche Tat. Das Böse in dir brach aus und verlangte nach dem Blut der Unschuldigen. Du kannst ein wildes, hungriges Raubtier nicht dafür verdammen, dass es Lämmer reißt. Es liegt in seiner Art.«
Tanguy fixierte den Hexer. »Wieso hast du keine Angst vor mir? Wärst du nicht auch ein Lamm?«
Er lachte gutmütig. »Ich wäre ein Lamm mit einem Innern aus Stahl und Klingen. Erinnere dich an unser erstes Zusammentreffen. Meine Kräfte sind durch die Magie stark genug, um mich zu schützen, sollte dich der Durst in meiner Hütte übermannen.« Szomor lehnte sich nach hinten und nahm eines der vielen gefüllten Reagenzgläschen vom Tisch. Sorgsam schüttete er dastrübe
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