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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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gegen den liegenden Sarg. Es knackte laut, und ihr Oberkörper verbog sich weiter, über das natürliche Maß hinaus. Schlagartig wurde ihr von der Hüfte an abwärts eiskalt. Sosehr sie es wollte, sie vermochte ihre Beine nicht mehr zu bewegen.
    Er hat mir das Rückgrat gebrochen!
    Ihre Angst steigerte sich weiter. Gwenn schob sich auf den Unterarmen vom Sarg weg und musste mit ansehen, was ihr einstiger Geliebter tat.
    Tanguy schnappte sich Gurvan, der eben zur Tür hinauswollte. Er schlug ihm die rechte Hand mit den langen Nägeln durch die Kleidung hindurch in die Schulter und drückte zu. Aufjaulend fiel sein Bruder auf die Knie.
    Schon beugte sich Tanguy über ihn und biss ihm seitlich in den Hals.
    Gurvans Aufschreien endete unvermittelt und wurde zu einem er stickten Gurgeln, über das sich laute Schlürfgeräusche legten. Bald verstummte es gänzlich.
    Gwenn vernahm die Stimmen der Dorfbewohner. Der Lärm aus dem Haus der Guivarchs war nicht unbemerkt geblieben.
    Gibt es keine Kraft auf Erden, die uns retten kann?
    Tanguy ließ von seinem Bruder ab; die Leiche fiel zuckend auf den Dielenboden. Mit grotesken Hüpfern eilte er auf Gwenn zu und ging vor ihr in die Hocke. Die Augen schimmerten fremd, schauten sie an, ohne sie zu erkennen.
    Sie war sich sicher, dass dieses Wesen nichts mehr mit ihremGeliebten gemein hatte. Ein Dämon zeigte sich für das bestialische Morden verantwortlich. Sein Haar hatte die Farbe verändert und schimmerte im Kerzenschein kupferfarben, das ganze Gesicht war vom Blut der eigenen Familie rot gefärbt. Speichelfäden baumelten am Kinn herab.
    »Was bist du?«, fragte sie ihn voller Grauen und musste die Augen schließen. »Warum hast du dir meinen Tanguy ausgesucht?« Sie roch das Blut durchdringender. Er schien sich ihr zu nähern.
    Das Grollen wurde lauter. Hände fuhren ihr über das Gesicht, und sie schrie leise auf. Er tastete sie ab, gleich einem Blinden, der einen Eindruck von seinem Gegenüber haben wollte.
    Dann spürte sie blutfeuchte Lippen auf den ihren …
    Himmel!
Angewidert zuckte sie mit dem Kopf zurück und spie aus. »Lass mich, Dämon!« Sie hob die Lider und sah das verzerrte Gesicht dicht vor sich. Sie wusste, was ihr gleich geschehen sollte. »Lauft weg!«, rief sie zum geöffneten Fenster und hoffte, dass man sie in Kerhinet vernahm. »Er wird euch alle …«
    Die Kiefer öffneten sich weit. Der Revenant stieß ein zorniges Zischen aus. Die spitzen, scharfen Fangzähne flogen heran, und Gwenn kreischte laut.
     
    ***

KAPITEL III
     
Winter 1781/82, Frankreich,
Süd-Bretagne, irgendwo in der Brière (Pays noir)
    Er hetzte durch den stockfinsteren Sumpf.
    Nicht weit weg!
    Seine aufgeweichten Sohlen landeten immer dort, wo der Untergrund sein Körpergewicht trug. Nicht einmal trat er fehl.
    Gar nicht mehr weit weg!
    Warum er sich derart gut hier auskannte, wusste er nicht.
    Er wusste gar nichts. Weder seinen richtigen Namen noch, woher er kam. Das Spiegelbild im Wasser zeigte ihm einen verwahrlosten jungen Mann mit verfilztem Bart.
    Aber so empfand er nicht.
    In ihm brannte ein Feuer, ein ewig währender Durst, den nur Blut für eine kleine Weile zu stillen vermochte. Blut von allen möglichen Lebewesen. Enten hatte er gerissen, Schafe und anderes Vieh, das auf den festen Inseln im Moor lagerte. Und unvorsichtige Menschen, die er von den Barken geworfen und ertränkt hatte, bevor er ihren Lebenssaft aus den Adern gesaugt hatte. Er schloss ihnen immer die Augen, weil er die starren Blicke nicht ertrug. Sie brachten Unglück.
    Er wusste, dass er aussah wie einer von ihnen, aber keiner war. So hatte er sich selbst den Namen Autre gegeben: anders.
    Also blieb er im Sumpf. Das Moor schien vor dem Verlust seiner Erinnerung seine Heimat gewesen zu sein. Das vermutete er aufgrund seiner guten Orientierungsgabe und der Sicherheit, mit der sich vorwärtsbewegte.
    Er wagte sich nur nachts ins Freie. Mit den ersten Sonnenstrahlen kroch er tief ins Dickicht der Halme und tauchte in die Dammbehausungen von Bibern und in die Löcher von Bisamratten, um sich vor dem grellen, schmerzenden Schein des Taggestirns zu schützen.
    Es war nicht sein einziger Feind.
    Einmal hatte Autre versucht, am Rand des Moors einen kleinen Bach zu überwinden, aber eine unsichtbare Macht hatte ihn daran gehindert. Mit der Zeit hatte er gelernt, dass fließendes Wasser eine Barriere bildete.
    Aber nicht das stehende Moor. Nicht die regungslosen Wasseradern.
    Schnell, schnell!
    Ein Graspolster

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