Judassohn
bewegte sich mit kräftigen Beinschlägen weg von der Unglücksstelle. Zwar wehrten sich seine Opfer noch, aber sie hatten zu wenig Luft in den Lungen, um lange Widerstand leisten zu können. Sie vergeudeten das bisschen auch noch mit sinnlosen Schreiversuchen.
Über ihnen zogen treibende Moospolster dahin, Enten schwammen vorüber und wirkten durch die Licht- und Wasserbrechung verzerrt. Tanguy genoss die Stille und die Vorfreude, bald trinken zu dürfen. Die beiden Männer, die er entführt hatte, hingen schlaff in seinem Griff. Die Gliedmaßen hatten ihre Spannung und ihre Kraft verloren. Bis er sein Ziel erreicht hatte, waren sie sicherlich ertrunken.
Tanguy tauchte unter einer schwimmenden Grasinsel hindurch und gelangte in einen benachbarten Kanal, der durch seine Enge und seine Entfernung für die Jagdgesellschaft unerreichbar war. Die Barken müssten einen Umweg fahren, um hierherzugelangen.
Geschätzte fünfhundert Schritte von seinem Angriff entfernt, tauchte er im Schutz einer Trauerweide auf. Die langen Äste berührten das Wasser und ragten weit in den Kanal hinein. Sie bildeten einen natürlichen Vorhang, der Schutz vor Blicken bot.
Zuerst wuchtete er die Leichen über den Grasrand, danach zog er sich selbst empor. Eine Blesshuhnfamilie suchte vor den Störern empört pfeifend das Weite.
Tanguy konnte sich nicht länger zurückhalten. Das Brennen in seinem Magen schmerzte, und er hatte das schreckliche Gefühl,gleich zu verdursten. Nichts konnte ihn mehr von seiner Beute trennen.
Endlich!
Er riss den Kragen des dickeren Mannes auf und schlug die Zähne in die nasse, kalte Haut, zerfetzte sie und trank stöhnend vor Wonne. Das warme Blut sprudelte in seinen Mund, und er sog mit aller Macht an der Wunde. Alles musste heraus, alles! Als nichts mehr aus den Adern kam, warf er sich auf sein zweites Opfer.
Mehr! Mehr davon!
Fauchend, mit lüsternem Blick entfernte er das hinderliche Halstuch und biss zu. Wieder soff er wie von Sinnen, schlürfte und presste und achtete darauf, dass kein kostbarer Tropfen auf den Boden fiel.
Der volle Geschmack, die Wärme und der betörende Geruch des Blutes machten ihn wahnsinnig vor Gier. Das Glück spritzte in seinen Schlund und ließ sich von ihm aufsaugen. Reine Erfüllung. Eine unglaubliche Lebendigkeit breitete sich dabei in ihm aus. Ein Laut der Enttäuschung drang über seine Lippen, als auch dieser Quell des Lebens viel zu schnell versiegte.
Das tat gut!
Ächzend lehnte er sich an den Weidenstamm und ließ sich auf dem Boden nieder. Er meinte, es in seinem Bauch gluckern zu hören.
Es war viel zu schnell zu Ende. Ich könnte noch mehr …
Abrupt wandte er den Kopf nach rechts. Er hatte einen bekannten Geruch in die Nase bekommen.
Der Junge stand dort. Der schwarzhaarige Junge mit dem Muttermal unter dem linken Auge. Tanguy erinnerte sich an den Tag ihrer ersten Begegnung. An den Stapel honiggetränkter Galettes. An die Ente mit dem abgebissenen Kopf. Die braunen Augen zeigten keinerlei Furcht, auch kein Entsetzen oder Abscheu. Tanguy las in ihnen nichts als … Neugier.
»Du hast sie nicht gefressen«, stellte er mit ruhigem Ton fest. In seinem breiten schwarzen Gürtel steckte eine kleine Pistole. Anscheinend hatte er zur Jagdgesellschaft gehört.
Tanguys Gedanken schwirrten in seinem Kopf herum. Er wischte sich mit dem Handrücken das Blut von den Lippen. »Nein«, gab er langsam zurück und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
Du kommst mir gerade recht. Einen Nachtisch kann ich gut gebrauchen. Und eine Rechnung mit deinem Großvater ist ebenfalls noch offen.
»Was hast du dann mit ihnen gemacht?«
»Das Blut aus den Adern gesogen.« Er schob sich am Stamm in die Höhe. Die helle Lederkleidung des unerwarteten Besuchers roch neu, unterstrich dessen Unberührtheit.
Der Junge schaute rätselnd auf die Leichen. »Ist das nicht Verschwendung? Sie haben sehr viel Fleisch.«
»Du klingst wie ein Metzger, petit Seigneur.« Tanguy hatte für sich beschlossen, ihn als Sonderling zu betrachten, dessen Zeit gekommen war. »Erinnerst du dich an mich?« Er kam auf ihn zu und hinterließ dabei eine Spur aus Wassertropfen im trockenen Gras.
»Sicherlich. Du bist der tote Tanguy Guivarch.« Der Junge betrachtete ihn mit Gleichmut und lüftete das spitze grüne Hütchen. »Ich habe mit deiner Verlobten gesprochen. Kurz bevor sie nachts ermordet und nach allen Regeln der Kunst in kleine Fetzen gerissen wurde. Sogar mein Großvater war tief
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