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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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gegenüber. »Doch es stimmt. Die meisten Vampire gibt es auf dem Balkan. Alles Land, was östlich von Wien liegt, gehört den Blutsaugern, und ihren Anspruch behaupten sie unverhohlen. Die Handvoll, die im Westen leben, halten sich im Gegensatz dazu gut verborgen. Sie sind froh, denke ich, dass man eher an Hexen und Werwölfe glaubt denn an sie.« Er tippte sich gegen die Stirn, schien Erinnerungen wachzuklopfen. »War es vor fünfzig Jahren? Ja, ich glaube, so lange könnte es her gewesen sein. Da machte die Nachricht von einem Dörfchen in Serbien die Runde durch alle Zeitungen und Zeitschriften. In ganz Europa.«
    »Ach?«
    »Die Menschen litten unter den Attacken eines Rudels Vampire. Der Vorfall wurde von den Behörden untersucht, und so hörte man auch im Westen von den Blutsaugern.« Er kratzte sich am Kopf, die fettigen Haare schauten unter dem Rand seiner Kappe hervor. »Die Wissenschaftler und Theologen wollten erklären, wie es zu den Vampiren gekommen ist: Dämonen, Seelenaufspaltung, schwarze Magie, alles Mögliche haben sie in Betracht gezogen.«
    Tanguy horchte auf. Bot sich eine Möglichkeit, dem Untotendasein zu entkommen, das ihn zum Morden zwang und mit dem grauenvollen Durst schlug? Regelmäßig ließ ihn das heiße trockene Gefühl in seinen Eingeweiden und in seiner Kehle glauben, von innen zu verbrennen, wenn es nicht umgehend gestillt wurde. Er hatte vieles versucht, Milch, Wasser, sogar Schlamm hatte er in sich hineingestopft. Ohne Erfolg. Es gab kein anderes Mittel dagegen als Blut. Das Töten von Menschen fiel ihm zwar leicht, das Töten von Wegelagerern, Bettlern und anderen Schurkensogar noch leichter. Aber er wollte es nicht. Nicht dann, wenn Durst und Gier gewichen waren. Dann bereute er seine Jagden. »Zu welchem Schluss sind sie gekommen?«
    Szomor grinste wissend. »Man hat sich unter den Gelehrten darauf verständigt, dass es doch wohl nur Aberglaube und Unwissenheit seien, die zusammengenommen zum Glauben an Vampire führten. Ein Arzt namens Tallar hat vor ein paar Jahren angeblich bewiesen, dass die strengen Fastengebote der Orthodoxen schuld an den rätselhaften Todesfällen seien. Und unbekannte Krankheiten, natürlich.« Er verzog den Mund. »Wir beide wissen es besser.«
    Irgendwo klirrte es, gefolgt von einem lauten Brodeln. Rauch stieg aus dem Dickicht der Apparaturen.
    »Verdammt! Meine Tinktur geht dahin!« Szomor sprang auf und rannte dorthin, von wo das Geräusch gekommen war.
    »Hat es einen tieferen Sinn, warum es weniger Vampire im Westen gibt als im Osten?«
    Szomor reagierte zunächst nicht, sondern wirbelte umher, schöpfte und kratzte die übergelaufene Flüssigkeit von der Kupferwanne in eine Glasschale. »Was weißt du über die Hexenprozesse in den letzten hundert Jahren?«
    Tanguy hatte ein paar Geschichten über Hexen gehört. »Nun … dass es sie gab?«
    »Ich habe meine Mutter einst erzählen hören, dass die Vampire sie in Gang gesetzt hätten, um sich zu rächen.« Szomor stieß einen lauten Fluch aus. »Es ist bestimmt etwas Wahres dran. Mich haben sie ja auch vertrieben. Aus Neid und Missgunst.« Er betrachtete traurig die kläglichen Überreste seines Versuchs und trank sie dann, ohne das Gesicht zu verziehen. »Angeblich haben die Werwölfe und Hexen die Vampire des Westens vernichtet, um mehr Macht zu erlangen. Es ist ihnen gelungen. Aber aus Rache stießen die überlebenden Vampire die Verfolgungen an. Sie hetzten die Kirchenleute auf und verbreiteten Lügen beimeinfachen Volk. Tausende von Prozessen sind gegen Menschen geführt worden. Wegen Hexerei und Wolfswandlungen.« Szomor schüttelte sich und musste sich am Tisch festhalten. Die Tinktur schien ihre Wirkung schlagartig und geradezu überwältigend zu entfalten. »Wenn du mich fragst, Mocsár, haben die Grenzen gehalten. Noch immer hat die alte Aufteilung Bestand.«
    Tanguy machte sich halbherzig ein paar Stichworte dazu, verfolgte das Thema jedoch nicht weiter. Es machte seine persönliche Lage nicht besser, von den alten Querelen dieser Albtraumwesen zu wissen.
    Das ist nicht das, was ich benötige.
    Er brauchte ein Judaskind, um sich mit ihm auszutauschen, um seine eigenen Kräfte noch besser zu schulen. Die Fortschritte verliefen schleppend. Keine Gestaltenwandlung, das Wetter gehorchte ihm nicht. Er war an einem Punkt angelangt, an dem er ohne fremde Hilfe nicht weitergelangte. Szomor vermochte ihm diesen Beistand nicht zu leisten.
    Malo oder irgendein anderer aus der Bande.
    Tanguy

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