Judassohn
ich dem folgen kann, Monsieur. Er ist einseitig. Wenn Ihr gesagt hättet, dass wir beide …«
»Ich lebe schon über zwanzig Jahre in dieser Gegend und habe die blutige Ära der Bestie überstanden«, unterbrach er sie schneidend. »Ich werde einen Teufel tun und mich von hier wegbewegen!« Penchenats Blicke waren feindseliger geworden.
»Es scheint mir, dass jeder von uns zweien seine Meinung hat und sie nicht ändern möchte. Da wir beide hier leben und bleiben, schlage ich vor, dass ich einige meiner Kunden …«
»Es sind
meine
Kunden, die du mir abgeworben hast, Teufelsweib!«, rief er aufgebracht und zog eine Hand aus der Tasche, reckte den Zeigefinger gegen sie. »Verschwindest du nicht, werde ich dich anzeigen! Hast du mich verstanden? Anzeigen werde ich dich! Wegen Hexerei und Unzucht mit deiner Freundin, dieser schwarzhaarigen Buhle.«
»Nun, es sieht nach Krieg aus, Monsieur Penchenat«, erwiderte sie absichtlich höflich, während in ihrem Innern die Wut kochte. So musste sie nicht mit sich reden lassen! Er sah im Vergleich zu dem Comte nicht besonders gefährlich aus und verströmte lange nicht die körperliche Gefahr. Aber die Kontakte des Henkers konnten sie in arge Bedrängnis bringen. »Ihr mögt denken, dass Ihr mir überlegen seid, und Ihr kennt gewiss viele wichtige Menschen.« Sandrine machte einen Schritt auf ihn zu. Sie spürte den dringenden Wunsch, ihn in Stücke zu reißen und sein Blut zu trinken. Damit wäre er keine Bedrohung mehr. »Doch was bringen Euch all die Freunde, wenn Ihr nicht lebend von diesem Hügel steigt?«
Penchenat zuckte verächtlich mit der Unterlippe. »Denkst du, ich würde dir erlauben, einen deiner Flüche gegen mich anzuwenden?«
»Vielleicht brauche ich keine Flüche, um zu siegen?«
Sein Blut käme mir gelegen. Keine Zeugen weit und breit, die mich verraten könnten.
»
Du
halbes Ding?« Er lachte auf. »Du würdest einen Kampf gegen mich nicht …«
Sandrine fauchte und zeigte ihm die Reißzähne.
Penchenat machte erschrocken einen Satz rückwärts, aber er reagierte wie ein Mann, der sich mit dem Übernatürlichen auskannte: Er zog die andere Hand hervor, die immer noch in der Tasche gewesen war, und hielt – ein Kreuz darin!
Zischelnd wich Sandrine vor dem heiligen Symbol zurück. Sie spürte die Macht des Glaubens, die von dem Kreuz ausging und sich ihr entgegenstemmte. Auf diese Weise käme sie nicht näher an den Mann heran.
Verflucht! Woher
…
»Ich dachte, du wärst eine Hexe«, sagte er kaum eingeschüchtert von den Fängen. Das Kreuz gab ihm Sicherheit. »Aber du musst mehr sein.« Er bewarf sie mit einer Handvoll Salz aus der Tasche des Gehrocks. »Weiche!«
Von den weißen Körnern war Sandrine unbeeindruckt. »Damit ist dein Schicksal besiegelt«, sagte sie finster. Noch wusste sie nicht, wie sie es anstellen sollte, aber eines war sicher: »Du darfst mit diesem Wissen nicht leben.« Die Fingernägel wurden länger, schärfer als Klingen.
»Ist dir jetzt die Höflichkeit abhandengekommen, ja?« Er lachte leise und siegessicher. »Möglicherweise steigst
du
nicht lebend von diesem Hügel. Bist du eine Vampirin?«
Sandrine wurde gleichzeitig heiß und kalt. »Ich …« Sie versuchte, einen Schritt nach vorn zu machen, um ihn zu erreichen und zu packen, aber der Widerstand war zu groß. Eine Barriere stand ihr im Weg, aufrechterhalten durch das Kreuz.
Penchenat sah ihr an, dass er ihr Geheimnis vollends ergründet hatte. »Denkst du, ich wüsste nicht, welche Kreaturen des Bösen existieren? Nachdem im Gévaudan die Loup-Garous ihrUnwesen getrieben haben?« Er reckte das Kreuz und schleuderte wieder Salz gegen sie.
»Hör auf damit!«
Er grinste böse. »Schmerzt es?«
»Nein. Es nervt.« Sandrine wusste: Am Kruzifix gab es kein Vorbeikommen; hastig sah sie sich um.
Was tun?
Da sie ihn nicht angreifen konnte, blieb ihr nur die Flucht, um auf eine bessere Gelegenheit zu warten, den Henker zu töten. Noch in dieser Nacht.
Anjanka und sie hatten gerade erst begonnen, ihre Fertigkeiten zu ergründen. Ansatzweise vermochte Sandrine ihre Gestalt zu wechseln und zu einer Schlange oder einem Luchs zu werden, um die Vorzüge dieser Tiergestalten zu nutzen. Als Luchs wäre sie zehnmal schneller als dieser Mann. Aber die Wandlung hielt niemals länger als einige Augenblicke. Danach brannte es in ihren Eingeweiden vor Durst.
Ich versuche es.
Sie konzentrierte sich.
Das Kribbeln in ihrem Körper setzte ein und wurde kräftiger,
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