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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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veränderte sich zu einem Schmerz, der sie aufkeuchen ließ. Sandrine sank zu Boden, und ihre Sinne wechselten ins Tierhafte: Geräusche, Gerüche, die Wahrnehmung durchliefen einen blitzartigen Wechsel. Die Augen einer Luchsin sahen die Welt anders. Das Gras unter ihren Pfoten war kühl. Wind strich über ihre bloße Haut, aus der dichtes Fell spross. Auch wenn die Verwandlung für sie unendlich lange dauerte, wusste sie, dass drei, vier Herzschläge vergangen waren. Sie sah zum Henker auf, öffnete den Mund. Ein katzenhaftes Fauchen erklang.
    Penchenat stieß einen wütenden Schrei aus. »Ein Wandelwesen obendrein?« Er zog eine doppelläufige Pistole unter dem Gehrock hervor und richtete die Mündungen auf sie. Als sie die Gestaltwandlung abgeschlossen hatte, drückte er ab.
    Es knallte laut, unglaublich laut, als habe der Henker zu viel Schwarzpulver benutzt.
    Die Kugel schlug in ihrer Brust ein und zerriss das Herz. Eine weiße Wolke hüllte Sandrine ein, der vor Schmerzen und Schrecken der Atem stockte. Es fühlte sich an, als hätte der Muskel arge Schwierigkeiten, die Verletzung zu heilen; möglicherweise hatte die Umwandlung in eine Luchsin damit zu tun.
    Kann man Vampire erschießen?
    Während sie mit dem Unglauben und dem Schock kämpfte, gaben die vier Beine nach. Sandrine torkelte gegen den Granitbrocken, der sich im Mondlicht teilweise schwarz gefärbt hatte, und rutschte daran herab. Ihr Blut war dagegengespritzt.
    »Geweihtes Silber. Hohl und mit Aconitumessenz gefüllt«, sagte Penchenat schadenfroh. »Ich hätte nicht gedacht, dass es gegen eine Hexenvampirin hilft.« Er stand vor ihr, reckte die Pistole gegen sie. Aus der linken Mündung kräuselte eine schwache Rauchfahne. »Du wolltest den Krieg. Nicht ich.« Sein Zeigefinger krümmte sich.
    Der Schuss dröhnte, die Kugel drang ihr durch das rechte Auge in den Kopf.
    Der Schmerz, den sie empfand, war grausam, schrecklich und unbeschreiblich. Die Welt wurde weiß, sie hörte ein Wesen schrill kreischen, bis sie verstand, dass sie es selbst war. Sandrine wand sich, zuckte und wälzte sich umher und roch nichts mehr, sah nichts mehr und spürte nichts mehr. Das Projektil hatte verheerenden Schaden angerichtet.
    »Da tanzt sie den Tanz der Sterbenden«, grölte Penchenat. »Aus deinem schönen Leib werde ich Reliquien und Glücksbringer schneiden. Magier werden mir viel Geld für deine Innereien bezahlen. Hexenleber und dergleichen ist heutzutage schwer zu finden.«
    Sandrine hoffte, dass ihr Körper die Wunden schnell genug schloss und zur alten Kraft zurückkehrte, damit sie sich losreißenund entkommen konnte. Das war ein Vorteil ihres Vampirdaseins: Verletzungen heilten rasch. Das Kribbeln in ihrem Kopf zeigte, dass das Gewebe erfolgreich gegen die Zerstörung ankämpfte. Das Umfeld nahm sie bereits wieder schemenhaft wahr.
    Ich hoffe, er redet noch lange. In dieser Zeit kann ich …
    Sie wurde am Nacken gepackt, ein vergleichsweise harmloses Stechen fuhr ihr in den Hals. Sie wusste, was es bedeutete. Ihre Gegenwehr war lahm.
    Nein! Er darf mich nicht enthaupten, sonst bin ich wirklich …
    Ein langgezogenes Heulen erklang unmittelbar neben ihr. Ein Tier bellte finster.
    Sandrine hörte, wie der Henker aufschrie, gleichzeitig ließ er sie los.
    Sofort setzten Knurren und Grollen ein, gefolgt vom mehrmaligen Zuschnappen starker Kiefer, das mit dem Brechen von Knochen und dem Reißen von Fleisch einherging. Penchenat schrie durchdringend und schrill.
    Die Wölfe, nach denen die Jäger gesucht haben.
    Sandrine hatte sich so weit erholt, dass sie sich bewegen konnte. Sie schob sich schwer atmend gegen den Felsbrocken, um den Rücken zu schützen. Sie lauschte, wie der Mann in Agonie brüllte. Angst vor den rasenden Wölfen und Freude über den Tod des Mannes mischten sich in ihr.
    Penchenat verstummte abrupt, dafür erklang leises Plätschern. Die Luft war erfüllt vom Geruch von rohem, warmem Fleisch und Blut.
    Sie … haben ihn zerfetzt.
    Sie fand die Tiere viel zu still. Seltsam still. Sandrine wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, um die Wölfe nicht zu einem Angriff auf sie herauszufordern. Der Stein in ihrem Rücken war ihr einziger Schutz. Womöglich ließen sie eine Luchsin in Ruhe?
    Wie viele sind es? Ein Rudel?
    Langsam entstand die Welt neu für Sandrine. Aus den Schemenwurde mehr, Silhouetten bewegten sich darin, die nach und nach Konturen annahmen. Die Heilung war abgeschlossen und der Durst da.
    Nicht weit von ihr rissen ein

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