Judassohn
gegen die Tür.
Anjanka sprang erschrocken in die Höhe. »Meine Liebe!« Sie hatte am Tisch gesessen und den Käse vorbereitet, der Raum warerfüllt mit dem Kräuterduft. Die Blicke erfassten die schlecht verheilten Wunden, das Blut, den Schrecken. In ihren Augen stand große Sorge. »Wer hat dir das angetan?« Sie nahm ihren Mantel vom Stuhl und legte ihn ihrer Geliebten um. »Sag es mir! Ich werde ihm mit Alpträumen den Tod bringen, wenn du ihn nicht selbst schon getötet hast!«
Sandrine gab ihr einen Kuss. »Meine Verletzungen heilen schon, mein Herz. Aber um ein Haar wäre ich nicht zu dir zurückgekehrt.« Ihr Mund war trocken und scheinbar angefüllt mit heißem Staub, der in ihrer Kehle kratzte. Einzig Blut würde das Gefühl vertreiben.
Anjanka ließ sich erschüttert auf einen Stuhl sinken. »Was ist das für eine furchtbare Nacht?«
»Es waren Loup-Garous. Zwei Stück, riesige Viecher, ein weißer und ein schwarzer.« Sandrine berichtete von der Attacke auf sie und von dem Zusammentreffen mit Penchenat, der tot und in Einzelteilen auf dem Hügel lag. Währenddessen suchte sie sich frische Kleidung und zog sich an. »Den beiden Jägern wird es nicht anders ergangen sein. Ohne sie wäre ich so tot wie der Henker.«
»Die Bestien kehren ins Gévaudan zurück«, raunte Anjanka und nahm ihre Hand. »Geliebte, lass uns fortgehen! Ich bitte dich! Die Hölle hat sie wieder auf die Erde losgelassen.«
Sie hat recht. Je eher, desto besser.
Sandrine lächelte ihre Geliebte an, schaute dabei jedoch ernst und erfreute sich an ihren klaren grünen Augen, deren Blick sie niemals mehr missen wollte. Er ließ sie sogar die Schmerzen vergessen. »Ja. Wir gehen. Fort von Frankreich, wo es zu viele von diesen Bestien zu geben scheint. Lass uns in ein Gebiet der Deutschen reisen.«
»Dahin wollte ich schon immer!«, jubelte Anjanka erleichtert. »Eine große Stadt, ja? Ich möchte zur Abwechslung in eine große Stadt gehen. Frankfurt oder … Leipzig! München!«, zählte siebegeistert auf und wandte sich dem Schrank zu. »Ich muss ein paar Dinge packen, und …«
Sandrines Durst wurde unerträglich. Sie nahm ihre Geliebte an der Hand und zog sie zur Tür, öffnete sie und schritt mit ihr in die Nacht. »Wir gehen
jetzt
und nehmen nichts mit. Ich will keine Sekunde vergeuden. Wer weiß, ob die Bestien nicht schon an meiner Fährte kleben. Und es wird bald Tag werden«, verkündete sie ungeduldig und betrachtete die Landschaft. Abgesehen von der Gier nach Lebenssaft wollte sie keinen Augenblick länger an dem Ort verweilen, an dem die Bestien regierten. »Wir müssen noch im Dorf vorbei. Ich habe schrecklichen Durst.« Sie sog die Luft ein.
Keine Wölfe.
»Wie du möchtest.« Anjanka schmiegte sich an sie. »Wir haben uns. Mehr brauchen wir für den Neuanfang bei den Deutschen nicht.« Sie lachte. »Wir machen die Männer verrückt und lassen uns alles zu Füßen legen.«
»Keine Männer mehr.« Sandrine grub die Finger in Anjankas schwarze Haare und zog sie zu sich heran. »Überlass es mir, den Unterhalt zu bestreiten. Du bist fortan allein
meine
Frau.« Dann streichelte sie zärtlich am Kinn entlang, drückte es nach oben und küsste sie leidenschaftlich.
Anjanka stöhnte leise und presste sich dichter an sie.
* * *
LAMENTO IV
Die Lieb’ ist ein zerbrechlich’ Ding.
So hab ich es zerbrochen.
Geborsten gar, das Blut spritzt hin,
weiß schimmern all die Knochen.
Die Lieb’ ist gleich dem Mädchenleib:
zart, fein und doch verdorben,
die Zähne in den Hals ich treib
die Lieb’ ist schreiend gestorben.
Die Lieb’ ist fern, weit weg von mir,
wohnt nicht mehr in meinem Herzen.
In mir tobt laut ein wildes Tier,
bringt anderen Leid und Schmerzen.
Die Lieb’ …
DAS BUCH
DOMINIC DE MARAT
KAPITEL I
Juli 1789,
Frankreich, Paris
»Schau dir das an! Da brennt schon wieder ein Zollhaus!«
Dominic hob nicht einmal den Kopf, denn er war vertieft in das, was die neueste Flugschrift über das Vorankommen der Generalstände verkündete. Vertreter des Adels, des Klerus und des Volkes saßen mit dem König in Versailles zusammen und berieten über die Verbesserungen für das einfache Volk. Der Ausgang des Treffens wurde mit Spannung erwartet, die Hoffnungen waren groß. Auch bei Dominic.
»Das ist jetzt das dritte oder vierte«, gab er langsam zurück. »Es sollten bald keine mehr stehen.«
Sie saßen im ersten Stock der kleinen Herberge
Moulinette
, in einem Kabuff, das ihnen der
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