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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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von ihr.
    Als sinnierte er, ob er mir etwas antun soll oder nicht.
    Sie leckte sich über die Lippen, die ihr schrecklich trocken vorkamen. Die Zunge rieb rauh darüber, als schmirgelte sie die rissige Haut ab.
    Ich muss trinken!
    Ihr Blick, mit dem sie den Adligen bedachte, veränderte sich und wurde begierig. Wie jedes Mal, wenn ihr Durst zu stark wurde, hörte sie den Herzschlag eines Menschen, sah die Adern gleich Einladungen leuchten. Das Blut des Mannes lockte sie, reizte sie und forderte sie heraus.
Trink von mir,
schien es zu wispern.
Trink mich, ich gebe dir Kraft und lösche das Brennen in dir. Trink mich, Sandrine …
    Eine weitere Naht platzte mit einem vernehmbaren Knall. Der Comte keuchte einmal auf und hielt sich die Schläfe. Er grollte wie ein gereiztes Tier.
    Sandrine schluckte. »Mon Seigneur, wollt Ihr einen Schluck Wein? Ist Euch nicht wohl?«, fragte sie und sah zu den regungslosen Begleitern.
    »Nein. Aber du wirst nichts dagegen tun können, Sennerin.« Er erhob sich. Seine Gestalt hatte sich verändert, war größer und breiter geworden. Der Comte wankte zur Tür, die ihm von seiner Leibwächterin geöffnet wurde. »Die Geister werden doch ihr Werk verrichten?«, merkte er im Gehen an.
    »Solange ich lebe und sie daran erinnere«, sagte sie mit einem Geistesblitz.
    Damit habe ich mich an das Gelingen des Fluchs gekoppelt.
    Der Comte de Morangiès blieb stehen und schaute sie über die Schulter an.
    »Sehr klug, Sennerin. Das muss ich dir lassen.« Er wandte den Kopf ab und stapfte hinaus in den Regen, der noch heftiger niederprasselte. Seine Begleiter folgten ihm, der Mann schloss den Eingang.
    Sandrine atmete behutsam ein und aus. Der Durst wurde mit jeder Bewegung schlimmer.
    Der Falter flatterte herab, zerstob auf dem Boden zur schwarzen Wolke, und Anjanka erschien vor ihr. »Verzeih mir bitte meine Flucht. Ich bin von mir selbst enttäuscht«, hauchte sie und berührte bittend Sandrines Schenkel. »Er war …«
    »Es ist gut, mein Herz«, sagte sie beschwichtigend. »Ich habe ihn auch unheimlich gefunden.«
    »Mehr als unheimlich«, stieß Anjanka erleichtert hervor, küsste sich auf Sandrines Schenkel weiter nach oben und erhob sich dabei. »Ich habe genau verfolgt, wie er sich … verändert hat. Als würde er wachsen. Ich bin mir sicher, dass der Tod sein Begleiter ist.« Sie schüttelte sich. »Die Leibwächter fühlten sich genauso an. Sie rochen … nach Grausamkeit.«
    In Gedanken war Sandrine nicht mehr bei dem Comte, sondern bei ihrem Durst, der das klare Denken zur Seite schob. Sie hatte mit dem Fluch Großes geleistet, das konnte sie anhand der Schmerzen und der Gier nach Lebenssaft genau spüren. Größeres als sonst.
    Blut! Viel Blut!
    Sandrine presste die Lippen zusammen. »Ich habe Durst«, flüsterte sie rasch, drängend. »Gehen wir ins Dorf und besuchen die Jünglinge.«
    Anjanka nickte. »Lassen wir sie nicht warten.« Sie lief zur Tür.
    »Eines noch.« Sandrine folgte ihr. »Ich möchte nicht dabei sein, wenn du sie nimmst.«
    Die Tenjac nickte. »Das verstehe ich. Es wird mir auch kein Vergnügen bereiten.« Sie gab ihr einen langen, zärtlichen Kuss auf die Stirn. »Ich gehöre dir allein.«
    Hand in Hand machten sie sich auf den Weg ins Dorf.
     
    ***

DIE GESCHICHTE VON
DEN MENSCHENFRESSERN
     
Juli 1787, Saint-Alban, Südfrankreich
    Unmittelbar nach Sonnenuntergang verließ Sandrine ihr Häuschen.
    Sie ging im sich rot färbenden Restlicht nach Norden, die Berge hinauf, um ihre Kräuter für die Verfeinerung des Käses zu sammeln. Anjanka wollte derweil die Ziegenkeule vorbereiten, die zum Comte geliefert werden sollte. Seit der Nacht, in der sein Fluch ausgesprochen worden war, sandte er einmal die Woche einen seiner Dienstboten, die sich nach Käse und Fleisch erkundigten. Beides musste aber noch ruhen.
    Sandrine ahnte, dass der Adlige sich nicht mehr lange von dieser Entschuldigung hinhalten ließ.
    Heute Nacht muss der Käse fertig werden.
    Durch die Einsamkeit lief Sandrine auf die flachen Bergkuppen zu, wo sich das Grau des Gesteins mehr und mehr gegen Gras, Ginster und kargen Wald durchsetzte.
    Mit der hereinbrechenden Dunkelheit frischte es auf. Dort, wo der Wind mit den wenigen Halmen spielte und es nichts drum herum gab, was ihn aufhielt, gediehen die Kräuter am besten. Sie mussten stark sein, um sich gegen die Böen zu behaupten.
    Sandrine erreichte die abgerundete Spitze der Bergkette. Die langen blonden Haare wehten, Strähnen rutschten ihr immer

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