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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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wieder vor die Augen.
    Da seid ihr.
    Sie nahm die Sichel vom Gürtel. Neben dem schwarzen Granitstein,in den jemand Symbole geritzt hatte, wuchs es: Schattengras. Sandrine nannte es so, weil es dunkler und kräftiger grün leuchtete. Sogar nachts. Sein intensiver Eigengeruch hatte etwas von Trüffeln.
    Sandrine schnitt die Halme mit der Sichel Büschel für Büschel ab, der starke, erdige Duft breitete sich aus. Die Ernte wanderte in ein Leinensäckchen, das sie aus ihrer Schürze nahm, und wurde darin eingeschlagen.
    Das genügt für ganze zwei Laibe.
    Sie packte das Bündel ein und richtete sich auf. Vor ihr breitete sich das Gévaudan aus, vom Sternenlicht silbrig erhellt.
    Eine Nacht zum Wandern und Im-Freien-Schlafen.
    Sandrine erfreute sich an dem Anblick. Der Mond und die Sterne waren zu ihren tausendfachen großen und kleinen Sonnen geworden.
    Nicht einsehbar von ihr lag das Schloss des Comte de Morangiès. Aber die Lichter der Taldörfer schimmerten golden und konnten es mit der Pracht des Firmaments doch nicht aufnehmen. Sie wirkten beinahe armselig und kläglich. Füchse bellten weit entfernt, ein Käuzchen schrie, und Motten tanzten zum Mond hinauf, als könnten sie die silberne Scheibe erreichen.
    Ein friedlicher Abend. Ich führe ein wundervolles Leben hier. Ein Ort, an dem ich bleiben möchte.
    Sandrine lächelte und machte sich hurtig auf, zurück zur Hütte. Sie und Anjanka hatten eine aufregende Nacht vor sich, sobald sie ihre Arbeiten erledigt hatten.
    Der Körper der Tenjac war begnadet, schlank und straff, makelloser als der jeder Frau, die Sandrine in ihrem Leben gesehen hatte. Ihre Liebeskunst brachte sie um den Verstand. Solche intensiven Gefühle beim Liebesakt, die sie alles um sich herum vergessen ließen, waren ihr unheimlich, aber es freute sie, dass ihre Geliebte ebenso empfand. Ihr Stöhnen, ihr Geschmack, alles war besonders.
    Schon Anjankas purer Anblick oder der Klang ihrer Stimme genügte, und Sandrines Leben war schön. Dazu bedurfte es nicht einmal der besonderen Kräfte, die die Vampirin besaß. Sie fühlte sich wie verzaubert. Dank der Liebe.
    Aber die Eifersucht vermochte Sandrine einfach nicht niederzuringen.
    Anjanka schlief mit vielen Männern und einigen Frauen, um an deren Blut zu gelangen. Ihre Macht über die Träumenden brachte ihnen ohne große Schwierigkeiten das Getränk, das sie beide zum Leben benötigten.
    Dennoch war es Sandrine alles andere als recht.
    Es muss einen anderen Weg geben.
    Sie hatte daran gedacht, in einer weit entfernten Stadt eine Handvoll Jugendliche zu fangen und in den Stall zu sperren.
    Man könnte sie füttern und sie gut behandeln. Wir hätten auf Jahre hin Blut.
    Sie würde es Anjanka auf alle Fälle noch einmal vorschlagen. Ihre Geliebte fürchtete sich davor, weil sie annahm, dass man die Opfer vermissen und suchen würde. Oder dass eines entkommen und Alarm schlagen könnte.
    »Wenn Menschen verschwinden, kommen die Suchenden immer zuerst zu denen, die einen gewissen Ruf haben«, hörte sie die Tenjac skeptisch sagen. »Und
du
hast diesen gewissen Ruf. Es wissen zu viele, was du tust, mein Herz. In deren Augen bist du eine einfache Hexe. Du weißt, was sie mit Hexen gemacht haben und manchmal immer noch tun.«
    Sandrine wusste es. Aber die Zeiten hatten sich gewandelt. Und sie glaubte daran, dass sich die Leute in der Umgebung zu sehr vor ihren Flüchen fürchteten, um ihr Schaden zuzufügen.
    Es gibt viele Schuldige. Etliche haben meine Künste in Anspruch genommen. Ich kann sie alle verraten. Das ist Schutz genug.
    Zwei Männer mit Musketen auf dem Rücken kamen im Dunkelnüber den Hügelkamm. Sie redeten leise miteinander und hatten Sandrine nicht bemerkt.
    Es muss nicht sein, dass sie mich sehen.
    Sie kauerte sich hinter dem Granitbrocken zusammen und lugte um ihn herum.
    Die Männer blieben stehen. Einer von ihnen nahm ein kleines Fernrohr aus dem Gürtelhalter und setzte es vor das rechte Auge, der andere suchte eine Karte heraus und hielt sie so, dass sie vom Mondlicht voll getroffen wurde.
    Räuber, die auf eine Kutsche lauern? Aber wer sollte hier durchreisen?
    Sandrine strengte sich an, damit sie der leisen Unterredung folgen konnte.
    »… nach Westen gehen und die Fallen dort kontrollieren«, sagte der Kartenleser.
    »Nein. Zuerst die Gruben«, widersprach sein Begleiter. »Dort waren wir seit vier Tagen nicht mehr. Wenn uns ein Wolf hineingetappt ist, könnte er bei der Hitze schon ein Fressen für die Maden geworden

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