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Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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schönes Los, den Tod anderer vorherzusehen. Außerdem hatte sie immer ein bisschen Angst, dass Sarkowitz eines Tages ihr das Ableben vorhersagte.
    »Es gibt Dinge, die man sich nicht aussuchen kann«, sagte eine bekannte Stimme hinter ihr, und der Geruch von Leder umspielte ihre Nase.
    Die Krankenschwester zuckte zum zweiten Mal an diesem Tag vor Schreck zusammen und legte eine Hand gegen die Brust. Ihr war
     nicht bewusst gewesen, dass sie ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte. Sie wandte sich um und sah direkt in Sias schlankes
     Gesicht, das von langen dunkelroten Haaren umrahmt wurde.
    »Hallo, Frau Sarkowitz«, sagte Hildegard und klang etwas außer Atem. »Sie schleichen aber auch jedes Mal durch die Gänge. Und so früh heute.«
    Sia lächelte. »Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken.« Die dunkelgrauen Augen richteten sich auf die Tabelle mit den Temperaturwerten. »Immer noch steigend?«
    »Ja. Ich werde noch mal Druck beim Oberarzt machen. Irgendwas muss es ja sein, was das verursacht.« Hildegard betrachtete Sarkowitz’ schlichtes und doch beeindruckendes Outfit: schwarzer Pullover mit einem weiten, dicken Kragen, eine schwarze Lederhose und Boots, darüber ein langer schwarzer Ledermantel. Wenn sie ein bisschen größer gewesen wäre, hätte man sie für eine astreine Actionheldin halten können, aber ihre Statur war fast zierlich.
    »Regen Sie an, meine Schwester nochmals in den Kernspin zu schicken. Vielleicht lässt sich auf die Weise mehr herausfinden.« Sarkowitz nickte ihr dankend zu. »Ist meine Nichte schon da?«
    »Ja.« Hildegard zögerte zwei Lidschläge lang. »Frau Sarkowitz, nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber haben Sie überlegt, mit Elena zu einem Psychologen zu gehen?«
    »Weswegen?«
    »Sie ist so … fixiert auf den Tod, seitdem das mit ihrer Mutter passiert ist. Ich habe ein bisschen Angst, dass sie sich zu sehr darauf versteift. Wenn sich so etwas erst mal verfestigt hat, wird sie das nie wieder los. Verlustängste, Depressionen … das zieht sich dann durch ihr ganzes Leben. Sie ist ja schon sehr besonders und ein geistig weit entwickeltes Kind, aber …« Sie seufzte. »Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Sie denken, die Kleine hat ein Trauma davongetragen und ist vom Sterben besessen«, fasste Sarkowitz nüchtern zusammen. »Ich rechne es Ihnen hoch an, Schwester Hildegard, dass Sie sich solche Sorgen machen.« Sie sah ernst aus, aber nicht besorgt, als sie ging. »Ich rede mit ihr.«
    Hildegard war erleichtert, aber dennoch wäre ihr lieber gewesen, wenn die Kleine wieder von ihrer Mutter und nicht vom Todesengel umsorgt würde.
    Manchmal war ihr die Sarkowitz mehr als unheimlich.
     
    Lass sie allein sein. Ich möchte
IHN
hier nicht spüren.
Sia pochte knapp gegen die Tür und betrat das Krankenzimmer.
    Elena saß mit dem Rücken zu ihr und machte ihre Hausaufgaben an einem Beistelltisch. Emma lag wie immer im Bett, die Augen geschlossen, und die Brust unter der Decke hob und senkte sich gleichmäßig. Der Beatmungsschlauch führte durch ihren Mund, die Haare hatte man ihr abrasiert, weil die Ärzte zuerst geglaubt hatten, sie müssten den Schädel öffnen. So weit war es nicht gekommen.
    Sia kannte den Anblick. Sie hatte bei ihren Sitzwachen viele solcher Patienten gesehen, doch wenn es die eigene Familie traf, besaß es eine gänzlich andere Qualität. Jedes Mal bekam sie einen kleinen Schock, in dem immer ein Quantum Schuld mitschwang. Ein brutaler Anblick, die vielen Leitungen, Schläuche, die in Emma steckten. In den Fängen von medizinischer, unpersönlicher und roboterhafter Hochtechnologie, perforiert, penetriert – und doch waren die Maschinen überlebensnotwendig. »Hallo, Lieblingsnichte.«
    »Hallo, Tante Sia!« Elena sah verwundert auf und wischte sich eine braune Strähne aus dem Gesicht. »Was machst du denn schon hier?« Sie sah zum Fenster. »Ah, es ist bewölkt.«
    »Der Vorteil des Winters. Ich kann stundenlang durch die Gegend laufen. Vampire mögen den Winter sehr gern.«
    »Sollten dann nicht alle am Nordpol leben? Ich meine, in der Phase, wo die Sonne für viele Monate gar nicht mehr aufgeht?« Sie grinste. »Das ist für Vampire doch das Paradies.«
    »Das haben wir früher so gemacht, aber wir haben die Gegend durch unsere Gier entvölkert. Deswegen gibt es da so wenige Menschen. Heute machen wir gern Urlaub im Norden.« Sia zwinkerte, näherte sich ihrer Nichte und sah auf Heft und Bücher. »Was müsst ihr denn machen? Einfach nur

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